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Bewegtbild/TV

Von Frankfurt/Oder bis nach Linz, von Freiburg bis nach Flensburg, in vielen großen Shopping-Centern führt Deutschlands größter TV- und Kinoproduzent Ufa Real-People-Castings durch, um neue Darstellerinnen und Darsteller für Shows oder Reality-Formate zu finden. Beispielsweise für das Sat.1-Format „Lenßen übernimmt“. Bislang suchte die zur Bertelsmann gehörende Gesellschaft hier vor allem Mitarbeitende, die vor der Kamera stehen sollen. Jetzt nutzt die Ufa die beliebten Events, um auch neue Beschäftigte hinter der Kamera zu verpflichten und in einer eigenen Akademie auszubilden. Damit will Ufa-Geschäftsführer Joachim Kosack den wachsenden Fachkräftemangel im Filmgeschäft Paroli bieten, den der Boom der Streaming-Anbieter ausgelöst hat. Im MEEDIA-Interview erklärt der frühere Kabarettist, warum er hier vor allem Quereinsteigern eine Chance bietet.

**Herr Kosack, Sie sind Chefautor, Regisseur und Producer bei der Ufa gewesen, jetzt Geschäftsführer der Ufa und Ufa Serial Drama. Neben dem Studium der Germanistik arbeiteten sie zunächst als Kabarettist bei der Gruppe „Die Küchenschaben**“**. Ist dies der Berufsweg, um erfolgreich im Filmgeschäft Fuss zu fassen?**

**Joachim Kosack:** Anscheinend schon (lacht). Dabei bin ich als Ungelernter in die Filmbranche gerutscht, denn Germanistik habe ich nur ein Semester studiert. Die Welt der Bühne dagegen hat mich mehr fasziniert. So spielte ich gleichzeitig mit Christoph Maria Herbst am TiC-Theater in Cronenberg – unter anderem in "Clavigo" von Goethe. Das hat mich mehr interessiert als jeder Uni-Saal.

**Und so kamen Sie zum Film?**

Zum Filmgeschäft bin ich in den 90er Jahren gekommen. Das war die Zeit, in der das Privatfernsehen in Deutschland erfunden wurde. Dies löste einen wahren Boom auf dem Bewegtbildmarkt aus und spülte viele Menschen ins Fernsehgeschäft — auch mich.

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*UFA in Babelsberg. Der TV- und Kinoproduzent will verstärkt Quereinsteigern eine Chance geben – Foto Imago*

**Wann wurden Sie für die Ufa aktiv?**

1996 fing ich als Chefautor, Regisseur und Producer bei der damaligen Grundy Ufa (heute Ufa Serial Drama) an, die den erfolgreichen Dailysoap-Dauerbrenner „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ produzierte. Eigentlich wollte ich diesen Job nur ein halbes Jahr lang machen, um ans Theater zurückzukehren. Doch daraus wurde nichts und ich blieb bei der Ufa – und das bis heute.

**Also kein klassischer Berufsweg?**

Ob Schauspieler:innen, Regisseur:innen oder Produzent:innen – die Biografien sind sehr unterschiedlich. Es gibt Schauspieler:innen und Regisseur:innen, die mit einem Studium der Geistes- oder Medienwissenschaften in die Branche gerutscht sind. Andere kommen dagegen vom Theater, Musical oder aus dem Journalismus.

**Ist das alles?**

Nein, Aufnahmeleiter:in, Regieassistent:in, Beleuchter:in oder Editor:in – im Filmgeschäft finden wir einen extrem breit gefächerten Berufsspiegel. Das bietet auch vielen Quereinsteigenden große Chancen. Nehmen wir beispielsweise einen Juristen, der zu einem Producer im Filmgeschäft aufsteigen kann. Oder eine Betriebswirtin, die Filmgeschäftsführerin wird. Sie sehen, die Wege in die Branche sind sehr vielschichtig.

> "Das Wort Fachkräftemangel nehme ich ungern in den Mund. Ich bezeichne es lieber als Fachkräftebedarf."
> 
> Ufa-Geschäftsführer Joachim Kosack

**Warum klagen Sie dann über einen großen Fachkräftemangel?**

Das Wort Fachkräftemangel nehme ich ungern in den Mund. Ich bezeichne es lieber als Fachkräftebedarf. Und der hat viele Gründe. Vor allem demografische. So sind die Babyboomer-Jahre vorbei, von der die Medienbranche jahrelang gezehrt hat. Jetzt finden die Filmproduktionen nicht mehr genügend Leute, um den rasant gestiegenen Bedarf an Bewegtbildinhalten zu decken.

**Haben vor allem die Streaming-Anbieter wie Netflix und Disney+ die Krise ausgelöst?**

Der Boom bei den Streaming-Anbietern trägt sicherlich dazu bei, dass sich der Fachkräftemangel in der Branche verschärft hat. Doch auch die Gaming-Szene ist zum Teil für die Entwicklung verantwortlich. So sind immer mehr Spielehersteller auf der Suche nach jungen Talenten.

**Viele junge Leute drehen ihre eigenen Filme, die sie ins Netz stellen. Sind diese als potenzielle Arbeitnehmer für die Filmkonzerne verloren?**

Ja, junge Menschen, die sich in irgendeiner Weise filmisch ausdrücken wollen, müssen nicht mehr bei einer Filmproduktion arbeiten. Heute sind YouTuber:innen zugleich ihre eigenen Schauspieler:innen und Regisseur:innen. Sie sind mit geringem technischem Aufwand in der Lage, selbst ein Video zu drehen und können es leicht vermarkten.

##### Zur Person 

Geboren wurde Joachim Kosack 1965 in Gunungsitoli auf Nias, Indonesien. Er ist seit September 2018 Geschäftsführer der Ufa GmbH und verantwortet unter anderem die Bereiche Strategie, interne Kommunikation, Personalentwicklung und Research.

Außerdem lehrt er seit 2001 an der Filmakademie Baden-Württemberg. Dort leitet er als Professor seit 2005 den Bereich Serienproducing/Seriendramaturgie.

**Welche Mitarbeiter sind in der Filmbranche derzeit besonders gefragt? Schauspieler oder Regisseure?**

An Schauspieler:innen und Regisseur:innen fehlt es weniger. Hier gibt es genügend Talente am Markt. Anders sieht das in allen anderen Bereichen am Set aus: Von Filmgeschäftsführer:innen, Regieassistent:innen, Aufnahmeleiter:innen, Garderobier:innen, Personaler:innen bis hin zu Recruiter:innen ist der Markt leergefegt. Hier sucht die gesamte Branche nach geeignetem Personal.

**Viele junge Menschen kommen über ein Praktikum zu ihrem Traumjob. Ist das noch in der Filmbranche möglich?**

Das war früher ein beliebter Weg, um in einer Filmproduktion Fuß zu fassen. Man fing über ein Praktikum zunächst etwa als Set-Runner:in an, wurde anschließend Aufnahmeassistent:in, dann Aufnahme- und später Produktionsleiter:in. Das ist heute aber nur noch bedingt möglich, da der Gesetzgeber lediglich kurze Praktika zulässt. Er möchte, dass die Unternehmen ausbilden. Das unterstütze ich vollkommen. Wir haben deshalb bei der Ufa Serial Drama damals Azubis eingestellt, um langlaufende Formate zu produzieren. Doch dies reicht nicht aus. Denn der Markt für große Produktionen boomt. Um hier den wachsenden Arbeitskräftebedarf zu decken, müssen wir uns mehr für Quereinsteigende öffnen. Ansonsten geraten wir in die Klemme. 

**Was sind das für Quereinsteiger?**

Das können Menschen mit Migrationshintergrund sein, ebenso wie Menschen aus bildungsfernen Schichten. Wichtig ist, dass wir den Menschen zeigen, was es für verschiedene Jobs vor und hinter der Kamera gibt. Denn viele Leute kennen die vielschichtigen Arbeitsperspektiven in der Filmbranche nicht.

**Gehören auch Journalisten zu den Quereinsteigern?**

Ja, natürlich. Als vor drei Jahren in vielen Redaktionen der Rotstift angesetzt wurde, haben wir die Botschaft gestreut. „Kommt doch zu uns, wenn ihr über einen Job-wechsel nachdenkt.“ Und die Resonanz war groß.

**Schreckt viele junge Leute das niedrige Gehalt ab, um in die Branche zu wechseln?**

Ich glaube, das Gehalt ist weniger das Problem. Es geht vielmehr um die Arbeitsbedingungen. Denn die Arbeit am Set kann durchaus ein Knochenjob sein. Das bedeutet nicht nur lange Arbeitstage, auch der Drehort kann vom Wohnort weit entfernt sein – im schlimmsten Fall im Ausland. Auch die Anerkennung für die Arbeit kann auf der Strecke bleiben. Häufig stehen Star und Regie im Rampenlicht, während die Mitarbeitenden am Set eher im Hintergrund bleiben. Das hemmt vielleicht.

##### Zum Unternehmen

Die Ufa ist einer der größten TV- und Kinoproduzenten in Deutschland mit Sitz in Potsdam. Gegründet wurde das heute zum Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann gehörende Unternehmen 1917. Es besteht aus vier verschiedenen Einheiten: Fiction, Serial Drama, Show & Factual und Documentary.

**Die Corona-Krise hat der Branche einen heftigen Dämpfer versetzt. Es gibt viele Berichte, dass freie Künstler in dieser Zeit finanziell kaum überleben konnten. Schreckt dies nicht Kandidaten ab?**

Ja, das ist auch ein Hemmnis. Dennoch ist die Filmbranche in den vergangenen beiden Jahren besser durch die Pandemie gekommen als andere Branchen. Während in der Event-Szene viele Künstler:innen vor verschlossenen Türen standen, hat die Ufa bis auf wenige Tage weiter produziert und musste keine Kurzarbeit anmelden.

**Die Ufa hat eine eigene Academy gegründet, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Was bieten Sie für Ausbildungsgänge an?**

Momentan haben wir in der Ufa Academy vier Bereiche ausgeschrieben. Regieassistenz, Aufnahmeleitung, Script/ Continuity und Filmgeschäftsführung. Die Ausbildung dauert zwei Jahre.

**Ist die Ausbildung sehr praxisbezogen?**

Ja, die Mitarbeitenden drücken nicht wie in der Berufsschule die Schulbank. Im Gegenteil. Die Ausbildung ist sehr praxisnah. Dabei lernen die Neulinge alle Genres kennen – von der Daily bis hin zu Kinoproduktionen. Begleitet werden sie von Mentor:innen, die sie über die gesamte Ausbildung betreuen.

**Ist die Ausbildung nur für junge Leute gedacht?**

Nein, und das ist uns sehr wichtig. Wir suchen nicht nur junge Leute ab 25 Jahren, sondern auch Menschen bis 60 Jahren. Menschen, die noch auf dem zweiten Bildungsweg eine neue Karriere in der Filmbranche anstreben.

**Also würden Sie noch eine End-50-Jährige anstellen?**

Ja, beispielsweise eine Steuerfachgehilfin, die vielleicht keine Lust mehr auf ihren Job hat. Ihre Kinder sind aus dem Haus und sie möchte sich beruflich verändern. Da könnte sie als Filmgeschäftsführerin eine neue Karriere starten.

**Haben Sie schon Bewerbungen?**

Ja, die Resonanz auf die neue Ufa Academy ist riesig. Innerhalb von zwei Wochen haben sich mehr als 200 Menschen gemeldet. Dabei reicht das Altersspektrum von 25 bis 60 Jahren. Beworben haben sich Frauen und Männer gleichermaßen.

> "Wichtig ist, dass wir den Menschen zeigen, was es für verschiedene Jobs vor und hinter der Kamera gibt."
> 
> Joachim Kosack

**Wo werben Sie?**

Unter anderem an Abendschulen und Volkshochschulen. Dazu haben wir eine Plakat-Aktion gemacht und auch Flyer verteilt. Doch das ist nicht alles. Von Frankfurt/Oder bis nach Linz, von Freiburg bis nach Flensburg, in vielen großen Shopping-Centern führen wir Real-People-Castings durch, um neue Darsteller:innen für Shows oder Reality-Formate zu suchen, etwa für „Lenßen übernimmt“. Dabei kam uns der Gedanke, ob wir die Menschen bei den Castings nicht auch für einen Job hinter der Kamera begeistern können. Deshalb haben wir jetzt neben der Casting-Bühne einen Messestand aufgestellt. Das Motto lautet: #ShopyourJob. Hier können sich Interessierte mit VR-Brillen über die vielschichtige Arbeitswelt im Filmgeschäft informieren. Und das kommt gut an.

**Gibt es ein Diplom?**

Ja, es gibt ein Ufa Academy Diplom. Das ist kein staatlich anerkannter Abschluss, aber mehr als ein Jodeldiplom (lacht).

**Warum holen Sie sich keine Fördermittel vom Staat?**

Wir wollen den Ausbildungsweg zunächst nicht staatlich fördern, um selbst zu entscheiden, wie wir die Ausbildung gestalten. Würden wir eine staatliche Förderung beanspruchen, müssten wir viele Richtlinien beachten. Nehmen Sie beispielsweise eine IHK-Ausbildung zur audiovisuellen Kauffrau. Hier müssten die Auszubildenden viele Blöcke in der Berufsschule absolvieren. Das wollen wir nicht. Wir streben lieber eine sehr praxisbezogene Ausbildung an – nach dem Motto: Learning by doing.

**Wer führt die Ufa Academy?**

Geleitet wird die Ufa Academy von Janna Bardewyck. Sie ist seit Jahren dabei, junge Leute auszubilden und kennt die Personalprobleme seit Jahrzehnten sehr genau. Denn als in den 00er Jahren die Telenovela-Welle anrollte, hatte die Ufa Serial Drama große Schwierigkeiten, alle Positionen für die Formate zu besetzen. Sie hat deshalb damals begonnen, geeignete Mitarbeiter:innen auszubilden. Und das half uns aus der Patsche.

**Müssen die Teilnehmer für die Ausbildung zahlen?**

Nein, die Ufa zahlt den Academy-Teilnehmer:innen ein Gehalt. Dafür hat die Ufa einen eigenen Topf eingerichtet, der nicht Teil der Kalkulation ist.

**Nun gehört die Ufa zum Bertelsmann Produktionsarm Fremantle. Haben Sie international nicht ähnliche Probleme?**

Ob unsere Ufa-Mutter Fremantle ähnliche Probleme in anderen Ländern hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Wir tauschen uns aber in der Bertelsmann Content Alliance aus, um Talente innerhalb des Bertelsmann-Konzerns zu halten.

**Viele Ufa-Produktionen sind bei RTL zu sehen. Warum arbeiten Sie hier nicht Hand in Hand?**

RTL sucht ganz andere Leute als die Ufa. Die Kölner sind mehr an Mitarbeitenden aus dem Vertrieb, dem Marketing oder für Datenanalysen interessiert. Das sind Berufsfelder, die wir nicht benötigen. Wir produzieren im Auftrag für öffentlich-rechtliche wie private Sender Bewegtbilder – unter anderem auch für RTL.

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*Die Daily-Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" – Foto: Imago*

**Ufa-Chef Nico Hofmann hat im vergangenen Jahr den "größten Teil" seines Vermögens in eine Stiftung umgewandelt, die nach seinem Tod aktiv wird. Sie soll den Nachwuchs fördern. Ist dies auch eine Maßnahme, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?**

Nico Hofmann ist einer der größten Nachwuchsförderer in Deutschland. Scherzhaft nenne ich ihn den „Außenminister“ der Ufa, er mich den „Innenminister“. Nico unterstützt sehr, dass wir Fachkräfte für unsere Produktionen finden. Sein richtiger Fokus ist junge Schauspieler:innen, Regisseur:innen und Autor:innen für die Ufa zu gewinnen und weniger Mitarbeitende hinter der Kamera. Da sind unsere Aufgaben klar verteilt.

**Viele TV-Produktionen suchen nach Mitarbeitern. Vor allem Studio Babelsberg, das als Kunden Netflix hat. Findet hier ein Wettbewerb um Personal statt?**

Nein, Studio Babelsberg bildet stark im Art Department aus. Der Anbieter ist keine Konkurrenz für uns. Im Gegenteil. Babelsberg ist ein wichtiger Standort. Die Ufa hat hier viel Fläche freigemacht, die wir an mehr als 100 Startups vermieten. Dadurch haben wir eine weitere Chance, geeignete Mitarbeitende für unsere Produktionen zu finden - neben der Academy.

Wie die Ufa dem wachsenden Fachkräftemangel Paroli bieten will