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Big Tech Weekly

Es geht auf das große Finale zu. Wenn Sie diese Kolumne lesen, geht der vielleicht letzte 30-Grad-Tag des Jahres in seine Abendstunden. Vielleicht gibt es morgen noch eine Zugabe, vielleicht nicht, vielleicht kommt das Gewitter, das den Hochsommer 2022 wegbläst. Wie jeder Nostalgiker klammere ich mich an die vielen schönen Momente, die ich in den letzten zwei, drei Monaten erlebt habe – zumeist am Elbstrand zwischen Blankenese und Rissen. Darf man es sagen, dass man den Sommer trotz der toxischen globalen Gemengelage als einen glücklichen erlebt hat?

Die Tausenden Bilder auf meinem iPhone sprechen ihre eigene Sprache: Glückliche Kinderaugen im kühlen Nass, sandverklebt am Ufer oder tobend dazwischen. Keine Frage: **Das iPhone hat an diesem persönlichen Glück einen gewissen Anteil**. Wie kein anderes Produkt in der Geschichte der Verbraucherelektronik speichert es meine Erinnerungen in der Westentasche – auch nach 15 Jahren noch. In diesem Zusammenhang verdient das vor acht Jahren eingeführte Feature „Live Fotos“ noch einmal eine besondere Würdigung, die der frühere "TechCrunch"-Reporter und Venture Capitalist [M.G. Siegler bereits 2015 auf den Punkt brachte](https://500ish.com/these-pictures-of-you-c339a7daea57) und es das „Harry Potter Zeitungs-Element“ nannte:

*„Sie kennen die Szene in fast jedem Film, in der eine Person ein altes Bild eines geliebten Menschen ansieht, wenn es plötzlich ihre Erinnerung an den Moment auslöst und wir zu einer Live-Version der Szene zurückgebracht werden? In gewisser Weise sind das Live-Fotos. Es ist im Moment schwer zu sehen, weil die iPhones mit der Funktionalität brandneu sind und die Erinnerungen daher noch frisch in unseren Köpfen sind. Aber stellen Sie sich vor, wie diese Live-Fotos aussehen werden, wenn Sie sie sich in einem Jahr ansehen? Oder zehn Jahren? Sie werden Erinnerungen sein, festgehalten in der Zeit.“*

Genau das sehe ich, wenn ich Live-Fotos auf dem iPhone aus dem Juni oder Juli durchwische: Mein nicht mehr ganz so kleiner Sohn, der am Strand durchs Wasser läuft. Für einen kurzen Moment wird die Erinnerung wach, man selbst zurückversetzt. Allein für dieses Feature bin ich bereit, alle drei Jahre die stärkste Max-Version eines neuen iPhones mit so viel Speicherplatz wie möglich zu kaufen: im vergangenen Jahr das iPhone 13 Pro Max mit 1 GB.

##### Apple wird kleine Verbesserungen in neuer iPhone-Serie bieten

In diesem Jahr setze ich aus und plane es auch im nächsten zu tun – ganz einfach, weil die Upgrades immer kleiner zu werden scheinen. Auf der nächsten Keynote in knapp zwei Wochen erwartet uns die iPhone 14-Serie mit ein paar Verbesserungen unter der Oberfläche: ein verbessertes Kamerasystem, leichte Veränderungen bei der Notch und vielleicht ein Always-On-Display. Nice-to-have, aber für 95 Prozent der Nutzer vermutlich nicht wirklich entscheidend.

Trotzdem scheint das Käuferinteresse ungebrochen hoch – trotz der Inflation und der mutmaßlich höheren Preise für die Pro-Modelle. [Apple selbst rechnet mit höheren Absätzen](https://www.macrumors.com/2022/08/08/apple-iphone-14-shipments-95-million/) als vor einem Jahr beim iPhone 13. **Tim Cook ist damit der wohl meistunterschätzte CEO-Zaubertrick der vergangenen Dekade gelungen**: Er hat ein an sich ausgereiftes Produkt mit immer marginaleren Upgrades von Jahr zu Jahr verlängert.

Gehen wir in der Zeitschiene knapp eine Dekade zurück, als Apple im zweiten Amtsjahr unter Tim Cook mit dem kleinen iPhone 5s die erste schwere Krise erlebte, erschien es fast undenkbar, dass der Techpionier aus Cupertino sowohl den Smartphone-Markt als grundsätzlich den Markt für Verbraucherelektronik neun Jahre später mit der größtmöglichen Dominanz kontrollieren würde.

Gleichzeitig ist der nun 15-jährige Siegeszug ein Musterbeispiel dafür, in welch langsamen Zyklen sich die vermeintlich schnelllebige Techbranche bewegt. Am Ende setzten sich sehr wenige Produkte durch, die dann ein ziemlich langes Leben führen. Das Radio. Der Fernseher. Der Walkman schon deutlich kürzer. Das iPhone überraschend länger.

##### Das ist Apple, und auch Tim Cooks, große Leistung

Apples – und damit zum Großteil Tim Cooks – Jahrhundertleistung besteht darin, das iPhone, das von Android-Smartphones im Preis und den technischen Spezifikationen immer wieder hart attackiert wurde, so lange verteidigt zu haben. Die eigentliche Bedrohung kommt also nicht mehr von Samsung oder Xiaomi, sondern von der technischen Innovation selbst. Lediglich ein komplett neues Gadget kann das iPhone vom Thron stoßen. Allein: Solche Innovationen deuten sich Jahre – wenn nicht eine Dekade – vorher an, wie in Form des Palm Pilots, des Nokia Communicators oder Blackberrys.

Nichts dergleichen ist davon aktuell zu sehen. Und ob es Apple mit den mutmaßlichen Smart Glasses gelingt, sich selbst zu kannibalisieren, erscheint aktuell höchst fraglich. Eine Brille, die in jedem Moment getragen werden will, ist nicht für jeden ein Must Have, ein Stück durchdesigntes Glas und Aluminium hingegen schon. **Gibt es also ein Leben nach dem iPhone? Die überraschende Antwort lautet in beiden Fällen möglicherweise: nein.** Es ist möglich bis wahrscheinlich, dass Apple nie wieder in seiner Unternehmenshistorie ein Produkt auf den Markt bringt, das eine solche Gewinnmarge und einen solchen *stickiness*\-Faktor besitzt, [wie Warren Buffett es einst auf den Punkt brachte](/article/warren-buffett-adelt-apple-wegen-iphone-wahrscheinlich-das-beste-unternehmen-der-welt-0dcd2769a664281ec7bf0b030f1fb0a3).

Und ebenso ist es möglich, dass wir noch viel, viel länger mit 15 cm großen, 200 Gramm schweren Gadgets in der Hosentasche herumlaufen als heute erwartet. Vor dem TV gegessen wurde 1954 beim ersten WM-Sieg der deutschen Nationalelf genauso wie 1974 beim zweiten wie 1990 beim dritten wie 2014 beim bislang vierten. Gut möglich, dass ich mich in 15 Jahren mit einem dann erwachsenen Sohn auf dem iPhone 29 oder 30 an unseren persönlichen Jahrhundertsommer 2022 zurückerinnere, in dem er täglich neue Spielkameraden am Elbstrand fand, er Rad fahren lernte, und eine neue Kita mit einem gezielten Scherenschnitt durch die Türschlaufe eröffnete.

##### **+++ Short Tech Reads +++**

**[TheStreet](https://www.thestreet.com/markets/peloton-stock-surges-on-deal-to-sell-bike-accessories-via-amazon): Peloton kooperiert mit Amazon**

Ist das der Turnaround? Der angeschlagene Fitnessgerätehersteller Peloton verkauft seine stationären Bikes, Laufbänder und Bekleidung künftig nicht nur über die eigene Webseite, sondern auch beim weltgrößten Online-Einzelhändler der Welt – Amazon. Die in der Spitze um 95 Prozent kollabierte Aktie legte in Reaktion auf die News um 20 Prozent zu.

**[CNBC](https://www.cnbc.com/2022/08/24/nvidia-reports-slowing-growth-after-earlier-warning.html): Nvidia liefert enttäuschenden Ausblick**

Der Rest der US-Quartalssaison verläuft für Tech-Unternehmen holprig. Nachdem Chip-Riese Nvidia vor Wochen bereits vor einer schwächeren Entwicklung im abgelaufenen zweiten Quartal gewarnt hat, folgt nun die nächste Ernüchterung für den laufenden 3-Monatszeitraum. Vor allem wegen der anhaltenden Schwäche im Gaming-Bereich rechnet Nvidia lediglich mit Umsätzen von 5,9 Milliarden Dollar im September-Quartal, nachdem im Juni-Quartal gerade noch 6,7 Milliarden Dollar erlöst wurden. Die Botschaft ist klar: Makroökonomisch verfinstern sich die Aussichten im (Big-) Tech-Bereich.

**[WSJ](https://www.wsj.com/articles/ipo-market-faces-worst-year-in-two-decades-startups-11661181427?mod=djemalertNEWS): Der IPO-Markt ist so schwach wie seit 2009 nicht mehr**

Die gleichen Signale sind auf dem Markt für Neuemissionen zu vernehmen. Wie das „Wall Street Journal“ berichtet, haben Börsengänge bis Ende August lediglich rund fünf Milliarden Dollar an frischen Mitteln erlöst – der historische Durchschnitt gemäß dem Researcher Deallogic beträgt 33 Milliarden Dollar. Im Vorjahr wurden an Emissionserlösen gar über 100 Milliarden Dollar generiert.

Die mangelnden Exit-Optionen haben seit Jahresbeginn synchron zum brutalen Crash von Techaktien zu dramatischen Wertanpassungen von Börsenkandidaten aus den Technologiesektor geführt. Der hoch gewettete Bezahldienstleister Klarna konnte am Privatmarkt zuletzt 800 Millionen Dollar frische Mittel nach einem Bewertungsabschlag von 85 Prozent auf nur noch 6,7 Milliarden Dollar erlösen. Auch die weiteren Börsenaspiranten Instacart und Stripe mussten happige Bewertungseinbußen verkraften.

##### **+++ One more Thing: Zu Hause arbeiten oder nicht, das ist die Frage – auch bei Apple +++**

Es ist der Showdown des Spätsommers im Silicon Valley: Back to work oder stay at Home (Office)? Vor tatsächlich zwei Dekaden – und damit 18 Jahren vor Corona – habe ich für mich die persönliche Entscheidung gefällt, dass ich lieber selbstständig zu Hause als festangestellt im Büro arbeiten möchte. My Life, my Choice. Bereut habe ich es nie – vor allem, seitdem ich Vater geworden bin und so viel von meinem Kind mitbekommen möchte wie möglich.

Die Neujustierung der Work-Life-Balance hat vor zwei Jahren mit der Pandemie bei Millionen, wenn nicht Milliarden Arbeitnehmern rund um den Globus begonnen. Die Mad Men-Ära, in der das Büroleben nahezu glorifiziert wurde, ist definitiv zu Ende. Immer mehr Menschen schwant, dass die artifizielle Arbeitswelt zwischen Espressomaschine und LED-Panel-Beleuchtung im Großraumbüro nicht das wirkliche Leben ist. Entsprechend haben sich Termini wie „New Work“ und „The Great Resignation“ herausgebildet. Das Pendel in der modernen Arbeitswelt schien immer mehr in Richtung der Ressource Mensch auszuschlagen – „Staycation“ inklusive.

Mit der drohenden bzw. längst realen Rezession scheint nun jedoch wieder die Stunde der Big Corporation zu schlagen. Corona ist weiter Bestandteil unseres Lebens, aber gleichfalls zum „neuen Normal“ geworden. Also höchste Zeit, die neuen Errungenschaften zumindest zum Teil wieder zurückzudrehen, denken sich offenbar immer mehr Big Tech-Unternehmen, die ihre Belegschaft mit dem Nachdruck eines Großkapitalisten wieder einberufen. So unmissverständlich war zumindest der Tenor von Elon Musk, Mark Zuckerberg und Co.

Auch beim Kultkonzern aus Cupertino, der notorisch auf sein gutes Image bedacht ist, wird das zähe Ringen um Old und New Work weiter ausgefochten. Vor einigen Wochen [setzte Apple seinen Mitarbeitern eine Deadline](https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-08-15/apple-sets-return-to-office-deadline-of-sept-5-after-delays), ab dem 5. September wieder [mindestens dreimal in der Woche am Arbeitsplatz zu erscheinen](https://www.businessinsider.com/apple-employees-remote-work-office-three-days-2022-8) – der Termin macht aus eigenen Gründen Sinn, siehe iPhone-Launch. Allein: Gilt das auch für die Produktivität?

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">Are you an office-based Apple employee? Are you less than thrilled with the RTO mandate? Sign the petition, lets stand together. <a href="https://twitter.com/hashtag/appletogether?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#appletogether</a> <a href="https://t.co/KO0Y0rGvQB">https://t.co/KO0Y0rGvQB</a></p>&mdash; AppleTogether (@AppleLaborers) <a href="https://twitter.com/AppleLaborers/status/1561565071850885120?ref_src=twsrc%5Etfw">August 22, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Wie [die "Financial Times" jedoch berichtet](https://www.ft.com/content/e40ba5a2-9dbd-4f88-87f1-c92e412ac132), ist der Unmut über In-House-Arbeiten beim wertvollsten Konzern der Welt in der Belegschaft inzwischen so groß, dass sich eine Petition namens "Apple Together“ gebildet hat, die regen Zulauf verzeichnet. Merke: Am Ende ist der Kampf um den Arbeitsplatz auch immer ein Kampf ums eigene Leben.

In diesem Sinne: Auf ein grandioses Sommerfinale abseits des Schreibtisches!

Gibt es ein Leben nach dem iPhone?