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Big Tech Weekly

Auf welcher Seite des Apfels stehen Sie: Fanboy oder Hasser? Mir wird ja seither beides vorgeworfen. Mehr als zehn Jahre ist es her, dass ich mich in einer meiner ersten Kolumnen für „Die Welt“ seinerzeit als Apple-Aktionär outete. „[Meine Geschichte als Apple-Aktionär](https://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article13925230/Meine-Geschichte-als-Apple-Aktionaer.html)“ lautete der Titel – und es war absehbar, was danach in den Foren passierte. Mir wurde von Fanboytum über Angeberei bis Befangenheit so ziemlich alles vorgeworfen – die Kolumne überlebte kein halbes Jahr. (Seitdem habe ich mich nicht mehr über meine privaten Aktieninvestments geäußert – ganz einfach, weil man sich als Journalist angreifbar macht, so absurd der Vorwurf auch ist, der Besitz von ein paar Aktien eines Billionen-Konzerns könnten einen voreingenommen machen.)

Ein Jahr später erlebte Apple in der Frühphase der Tim Cook-Ära seine dunkelste Periode seit über einer Dekade: eine rückläufige Geschäftsentwicklung und fast eine Halbierung des Aktienkurses. Genau in diese Zeit fällt mein erstes Buch „Das Apple-Imperium“, das ich entsprechend der Entwicklung sachlich richtig mit „Der Aufstieg und Fall des wertvollsten Konzerns der Welt“ betitelte. ([Ein zweites](https://www.amazon.de/Das-Apple-Imperium-2-0-Herausforderungen-wertvollsten/dp/3658095474/) folgte zwei Jahre später.) Man kann es getrost den nächsten Bumerang in meiner Apple-Berichterstattung nennen, denn der Titel hat sich bei Fans des iKonzerns bis heute verfestigt und mich zum Untergangspropheten-Nummer-eins gemacht – ein Hass-Label, das mir bis heute von einigen Hartgesottenen gerne unter die Nase gerieben wird.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="de" dir="ltr">Sag mal <a href="https://twitter.com/crackr?ref_src=twsrc%5Etfw">@crackr</a>, Du hast als Selbsternannter Apple-Kenner  jahrelang den Niedergang Apples vorausgesagt. NICHTS von dem was Du prognostiziert hast ist eingetroffen  sondern immer genau das Gegenteil. Du hast einfach kompletten Müll geschrieben.Magst Du das nicht mal eingestehen?</p>&mdash; Arne ??? (@ArnePoparne) <a href="https://twitter.com/ArnePoparne/status/1519787920898539520?ref_src=twsrc%5Etfw">April 28, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Mit anderen Worten: Berufsrisiko. Das Thema Apple ist unter allen Big Techs dermaßen emotional aufgeladen, dass man eher früher als später zwischen die Fronten gerät, wenn man an objektiver Berichterstattung interessiert ist. Nicht zuletzt deshalb habe ich bis heute auf ein drittes Apple-Buch verzichtet, das die weitere Entwicklung der Tim Cook-Ära skizziert hätte.  
  
Es wäre inzwischen auch überflüssig, denn besser (und vor allem mit Verweis auf Quellen aus erster Hand) kann man es nicht schreiben als der frühere „Wall Street Journal“-Reporter Tripp Mickle, der vor wenigen Wochen „After Steve“ vorgelegt hat. Es ist die perfekte Sommerlektüre für Apple-Aficionados, die vor allem an der Geschichte jener zwei Männer interessiert sind, die nach dem Ableben des ikonischen Apple-Gründers das Schicksal des Kultkonzerns aus Cupertino maßgeblich mitbestimmen sollten: Tim Cook und Jony Ive.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">Coming May 3: <br><br>&quot;After Steve: How Apple Became a Trillion-Dollar Company and Lost Its Soul&quot;<br><br>Excited to join the amazing authors to chronicle Apple w/ the latest chapter: Tim Cook, Jony Ive &amp; the team who stepped into the void after Steve Jobs. <br><br>Preorder: <a href="https://t.co/iVW5zsNB8U">https://t.co/iVW5zsNB8U</a> <a href="https://t.co/MjSwSC18GJ">pic.twitter.com/MjSwSC18GJ</a></p>&mdash; Tripp Mickle (@trippmickle) <a href="https://twitter.com/trippmickle/status/1488902401125863429?ref_src=twsrc%5Etfw">February 2, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Vor allem bietet „After Steve“ intime Einblicke über das Auseinanderleben der beiden wichtigsten Protagonisten, das jegliche Treueschwüre am Grab der Apple-Ikone („Ihr müsst zusammenbleiben.“) zunichte gemacht hat. "Ihr (Cooks und Ives) Erfolg wurde durch die Enttäuschung der unternehmerischen Scheidung verdunkelt. Die Auflösung ihrer Partnerschaft war unvermeidlich", folgert Mickle.

Es ist der ewige Gegensatz zwischen Kunst (Ive) und Kommerz (Cook), zwischen Wagemut und Spiel-auf-Sicherheit, zwischen L’Art-pour-L’Art-Design versus Profitmaximierung. „Wie Apple zum Billionen-Konzern aufstieg und dabei seine Seele verlor“, lautet der provokante Untertitel, der Apple-Fans entsprechend triggern dürfte. Die implizierte Aussage ist damit klar: Mit dem De-facto-Ausscheiden von Ive vor drei Jahren hat Apple also seinen guten Geschmack verloren, während die Meister des Rechenschiebers die Hoheit im Apple Park errungen haben.

Aber ist es so einfach bzw. sind die Konsequenzen heute so abzusehen? Letzteren Vorwurf können Cook & Co. schnell entkräften, denn das chic designte iPhone ist weiter der Goldstandard der Smartphone-Industrie und verkauft sich wie geschnitten Brot – genau wie die anderen iProdukte, das iPad, die Macs und MacBooks und die Wearables Apple Watch und vor allem die AirPods. Neue Produkte wie das gerade auf der WWDC überholte MacBook Air sind weiter State of the Art und werden mit Sicherheit gleichzeitig Designpreise abräumen als auch Verkaufsrekorde brechen.       
  
Wie weit greift der Vorwurf also? Zur Wahrheit der inzwischen zehnjährigen Tim Cook-Ära zählt auch, dass der 61-jährige CEO die ganz große Nagelprobe der Neuerfindung erstaunlicherweise bislang erfolgreich vermieden hat. Die Apple Watch kann man bis heute als halbwegs unfertiges, aber eben chic designtes Produkt zwischen der Health- und Modebranche bezeichnen, dessen fehlende Durchschlagskraft vor allem vom Überraschungserfolg der AirPods kompensiert wurde. Für den monetären Boost sorgte unterdessen die Services-Sparte, die inzwischen knapp 19 Prozent der gesamten Konzernumsätze verzeichnet.  
  
Ob Apple sich aber noch mal neu erfinden kann, wenn die Strahlkraft und vor allem das Anwendungsszenario für das iPhone erlischt, dürfte die beherrschende Frage der zweiten Hälfte der Dekade werden. Gelingt Apple der Einstieg ins Metaversum mit der seit Jahren erwarteten Smartbrille? Kann der Techpionier auch die Autoindustrie mit einem iCar revolutionieren? Das werden die *make-or-break*\-Fragen der nächsten fünf bis zehn Jahre sein – und nicht, ob Apple seine Seele verraten oder verkauft hat, was auch immer das bei einer billionenschweren Aktiengesellschaft heißen mag.    
  
Dass weder Microsoft noch Google noch Amazon und Meta, denen man allesamt durchaus einen faustischen Antrieb nachsagen könnte, nach diesem moralischen Maßstab gemessen wurden, sagt am Ende vielmehr über Apple-Beobachter als über das Unternehmen aus: ein bisschen Projektionsoberfläche ist schließlich das halbe Leben.

##### **+++ Short Tech Reads +++**

**[CNBC](https://www.cnbc.com/2022/06/07/apple-expands-fintech-ambitions-in-ios-16.html): Apple greift Fintechs mit neuen Wallet-Funktionen an**

Und noch mal Apple: Auf der alljährlichen Entwicklermesse brannte Apple bis auf die Ausnahme der neuen MacBooks eher kein Produktfeuerwerk ab, gewährte dafür aber gewohnheitsmäßig eine Vorschau auf das, was sich softwareseitig ab Herbst ändern wird. Die Liste der neuen Features von iOS bis macOS ist zu lang und nerdig, als dass es oberstes Thema dieser Kolumne sein sollte, doch ein Aspekt sticht besonders heraus: Apples offenkundig bevorzugtes Interesse an beliebten Fintech-Features wie „Buy now, pay later“ (kommt als "Apple Pay Later") und das direkte Bezahlen von iPhone-Besitzern untereinander.  PayPal und Block kann das kaum gefallen.

**[WSJ](https://www.wsj.com/articles/buzzfeed-shares-drop-41-in-wake-of-investor-lockup-expiration-11654556769): Buzzfeed verliert 41 Prozent an einem Tag**

Was sind Digitalverlage an der Börse eigentlich noch wert? Nicht mehr viel, wenn das einstige Aushängeschild Buzzfeed zum Maßstab taugt. Das Börsenlisting via SPAC-Deal im vergangenen Jahr misslang nach einer schnellen Kurshalbierung, diese Woche kam noch ein weiterer 41-Prozent-Crash oben drauf – an nur einem Handelstag. Der Auslöser: Altaktionäre konnten nach Ablauf der Haltefrist von sechs Monaten nach dem Börsengang Kasse machen. Bei Kursen von nur noch zwei Dollar wird Buzzfeed mit gerade noch 300 Millionen Dollar bewertet – zu Spitzenzeiten waren es mal 1,5 Milliarden Dollar.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">BuzzFeed shares had their worst one-day percentage drop in digital-media upstart’s short trading history. Here’s what is behind the fall. <a href="https://twitter.com/hashtag/WSJWhatsNow?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#WSJWhatsNow</a> <a href="https://t.co/COtwsbJxDk">https://t.co/COtwsbJxDk</a> <a href="https://t.co/oNSKSAQHOU">pic.twitter.com/oNSKSAQHOU</a></p>&mdash; The Wall Street Journal (@WSJ) <a href="https://twitter.com/WSJ/status/1534169556280782848?ref_src=twsrc%5Etfw">June 7, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

**[Bloomberg](https://www.bloomberg.com/news/articles/2022-06-07/kara-swisher-leaves-the-new-york-times-for-vox-media-return): Kara Swisher verlässt die New York Times und kehrt zu Vox Media zurück**

Auch die „New York Times“ kann nicht alle Starjournalisten halten. In diesem Jahr verzeichnete die „NYT“ mit Taylor Lorenz und Ben Smith bereits zwei namhafte Abgänge, nun kehrt auch die wohl berühmteste Techreporterin der „Gray Lady“ den Rücken. Der neue Arbeitgeber ist unterdessen der alte: Vox Media! Beim US-Medienhaus war Swisher bis zum Wechsel 2020 unter Vertrag, nachdem ihr Digitalverlag re/code von Vox übernommen wurde. Swisher begründete den Wechsel gegenüber Bloomberg mit Wunsch nach mehr Unabhängigkeit: „Ich will machen, was auch immer ich machen will, und das ist eine großartige Sache.“

##### **+++ One more Thing: Die Mahnung von Michael J. Burry und die väterlichen Verfehlungen von Scott Galloway +++**

Haben Sie auch das Gefühl, dass Ihnen Big Tech immer mehr von ihrer wertvollen Zeit stiehlt? Hedgefonds-Legende Michael J. Burry warnte bereits vor zehn Jahren in einer weitgehend unbeachteten Commencement-Rede an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA) vor den weitreichenden Folgen des Social Media-Konsums.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">10 years ago<br>&quot;It’s an age of infinite distraction for those so willing. You are the generation that has had instant messaging, Facebook, Twitter...nagging your fingertips at every moment. It’s been arguably as addictive as any drug throughout history&quot;<a href="https://t.co/OBcEn6EJvA">https://t.co/OBcEn6EJvA</a></p>&mdash; Cassandra B.C. (@michaeljburry) <a href="https://twitter.com/michaeljburry/status/1533104350578429954?ref_src=twsrc%5Etfw">June 4, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Man kann sagen, ich bin teilschuldig – denn sonst wäre ich bei meiner alltäglichen Prokrastination auf Twitter eben nicht auf jenen Tweet gestoßen. Obwohl exakt eine Dekade alt, ist er aktueller denn je. Ex-UCLA-Absolvent Burry erklärt der heutigen Studenten-Generation in echter Steve Jobs-Manier:

„Es ist ein Zeitalter unendlicher Ablenkung für diejenigen, die dazu bereit sind. Ihr seid die Generation, die Instant Messaging, Facebook, Twitter habt und in jedem Moment über eure Fingerspitzen herumnörgelt. Es (Social Media) hat im Laufe der Geschichte wohl so süchtig gemacht wie jede Droge.“ Die Lage hat sich anno 2022 kaum gebessert – im Gegenteil, TikTok hat den Social Media-Konsum noch weiter verstärkt.  
  
Dass Teenager ihren Eltern ohnehin immer schneller entgleiten hat wiederum der allgegenwärtige Scott Galloway in seinem jüngsten Newsletter eingängig beschrieben. Die Sache mit Galloway ist ja die: Seine zum Selbst-Marketing zugespitzten Vergleiche mögen nerven (und oft danebenliegen), die beste Seite des Bestseller-Autors kommt jedoch zum Vorschein, wenn er persönlich wird. („The Algebra of Happiness“ ist sein mit Abstand lesenswertestes Buch, obwohl es kaum einer kennt.)

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr">Non-stupid people always underestimate the damaging power of stupid individuals. <a href="https://t.co/VUoy7BB4aJ">https://t.co/VUoy7BB4aJ</a></p>&mdash; Scott Galloway (@profgalloway) <a href="https://twitter.com/profgalloway/status/1533456609581604878?ref_src=twsrc%5Etfw">June 5, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

In der neusten Ausgabe „No Mercy / No Malice“, die bezeichnenderweise „Big Stupid“ heißt, spricht Galloway nun über persönliche väterliche Verfehlungen: „Mein 14-Jähriger ist … weg. Er hat herausgefunden, dass ich nicht so cool bin, und scheint wütend zu sein, dass ich die Scharade so lange laufen ließ. Wenn er mit seinem Vater unterwegs ist, fragt er am liebsten, ob er alleine nach Hause gehen und einige Minuten vor mir gehen kann. Ich weiß, dass er zurückkommen wird, und Freunde sagten mir, ich solle damit rechnen, aber ich bin immer noch schockiert, wie schnell das Augenrollen kam“, schreibt Galloway lesbar emotional mitgenommen. Man kann es ein Gefühl väterlicher Kameradschaft nennen, dass einem bei der Lektüre eine Gänsehaut bekommen lässt.

Am Pfingstwochenende habe ich, im Kleinen, eine ähnliche Erfahrung gemacht. Mein nicht mal vier Jahre alter Sohn hat am Elbstrand seinen eigenen Weg eingeschlagen, als er am Ufer Hunderte Meter weiter und weiter weg wanderte und nicht bemerkte, wie meine Frau ihn im sicheren Abstand begleitete, um zu schauen, wie weit der Unabhängigkeitsdrang gehen würde. Nach einer Viertelstunde und einem gefühlten Kilometer alleine am Strand kam er schließlich exakt zu unserem Handtuch zurück und sagte leicht vorwurfsvoll: „Wo warst Du Papa, ich habe Dich überall gesucht“. Ein echter Herzschmerz-Moment. Ich habe keine Ahnung, wie ich die Teenager-Jahre überstehen werde – vielleicht mit einem Tweet an Scott Galloway?

In diesem Sinne verabschiede ich mich in den Sommerurlaub, um so viel Familienzeit aufzusaugen, solange es sie in dieser Form noch gibt. Machen Sie es genauso – und das iPhone einfach mal aus.

Happy Summertime – bis im Juli!

Hat Apple seine Seele verloren?