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Big Tech Weekly

Wie lange brauchen Sie, um sich mit einer neuen Realität zu arrangieren? Zu Beginn der Corona-Pandemie etwa erlebte eine Hypothese des amerikanischen Chirurgen Maxwell Maltz, der mit „Psycho Cybernetic“ Mitte des vergangenen Jahrhunderts einen Mega-Bestseller geschrieben hatte, ein bemerkenswertes Comeback. Das Gewohnheitstier Mensch könne sich an eine komplett neue (traumatische) Situation binnen drei Wochen gewöhnen – sei es an einen Knochenbruch oder an einen anderen schwerwiegenden chirurgischen Eingriff. In der Pandemie wurde Maltzs These für die menschliche Fähigkeit der Resilienz zweckentfremdet: Im Frühjahr 2020 wurde das neue Normal bestehend aus der AHA-Regel entsprechend mental akzeptiert.

Lässt sich das Gleiche auch zwei Jahre später angesichts der neusten Verwerfungen sagen, die der Krieg in der Ukraine und die neue Mega-Inflation mit sich bringen? An den Kapitalmärkten sieht es ganz so aus: In dieser Woche markierten Techaktien nur sechs Wochen nach dem dramatischen Absturz bis Anfang März abermals neue Tiefstände im Jahr 2022 – doch der große Aufschrei bleibt aus. Offenbar ist sowohl an der Börse als auch beim Privatanleger akzeptiert worden, dass die Party vorbei ist – und zwar so richtig vorbei.

Normal sind die gegenwärtigen Abstürze an der Technologiebörse Nasdaq nämlich keinesfalls. Nicht irgendwelche Nebenwerte, sondern einst hoch gehandelte Qualitätsunternehmen wie **PayPal, Spotify oder Shopify** haben allein 2022 mehr als die Hälfte bzw. gar mehr als zwei Drittel ihres Werts verloren – ganz recht, weniger als vor vier Monaten!

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="de" dir="ltr">Ein Blick auf die Kursverluste von <a href="https://twitter.com/hashtag/Tech?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#Tech</a>-<a href="https://twitter.com/hashtag/Aktien?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#Aktien</a>, die im letzten Jahr noch rund um den Globus als „Qualitätswerte“ und „Basisinvestments“ gehandelt worden waren. Wohl gemerkt: Das Minus wurde allein 2022 verbucht – in nicht mal vier Monaten.? <a href="https://twitter.com/hashtag/Boerse?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#Boerse</a> <a href="https://twitter.com/search?q=%24SHOP&amp;src=ctag&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">$SHOP</a> <a href="https://twitter.com/search?q=%24NFLX&amp;src=ctag&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">$NFLX</a> <a href="https://twitter.com/search?q=%24SPOT&amp;src=ctag&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">$SPOT</a> <a href="https://twitter.com/search?q=%24PYPL&amp;src=ctag&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">$PYPL</a> <a href="https://twitter.com/search?q=%24FB&amp;src=ctag&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">$FB</a> <a href="https://t.co/RTOTu2F00u">pic.twitter.com/RTOTu2F00u</a></p>&mdash; Nils Jacobsen (@crackr) <a href="https://twitter.com/crackr/status/1519319494019145731?ref_src=twsrc%5Etfw">April 27, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Die historischen Abstürze wurden lediglich bislang kurz durch die erstaunliche Widerstandskraft von Big Tech verdeckt. **Apple, Amazon, Microsoft** **und Alphabet** konnten ihre Kursverluste in diesem Jahr bislang auf 20 Prozent begrenzen und liegen damit etwa auf dem Niveau der Techbörse Nasdaq, dessen Kursbarometer sie als Index-Schwergewichte maßgeblich mitbestimmen.  
  
Allein: Dass auch echte Big-Tech-Champions nicht mehr vor einem jähen Absturz gefeit sind, mussten in den letzten beiden Quartalssaisons zwei Mitglieder des exklusiven FAANG-Clubs erfahren, der als Akronym der GAFAs oder GAFAMs in den 10er-Jahren vorauseilte. Das „F“ bildete Facebook, das „N“ Netflix.

Beide Internetpioniere sahen vor einem Jahr noch als unangreifbare Platzhirsche aus: **Netflix revolutionierte den Streaming-Markt** und ist bis heute nach Abonnenten und Erlösen unangefochtener Marktführer – trotzdem verlor die Netflix-Aktie binnen eines halben Jahres unfassbare 73 Prozent an Wert, weil zwei Quartalsbilanzen Anleger und Analysten enttäuschten. Selbst seit dem Deal vor einer Woche zeigt der Kurs weiter nach unten und will einfach keinen Boden finden.

Ein ähnliches Szenario spielt sich bei Meta ab, das lange Zeit als vierte Kraft im exklusiven GAFA-Club gehandelt wurde und im vergangenen Sommer gar die historische Bewertungsmarke von einer Billion Dollar durchbrach. Seitdem ist beim Kurssturz von in der Spitze 380 auf 170 Dollar mehr als die Hälfte verloren gegangen – enorme 550 Milliarden Dollar haben sich in Luft aufgelöst. Auch hier ist das vor Jahresfrist Undenkbare passiert: Obwohl es aktuell kein Unternehmen auf der Welt gibt (auch nicht TikTok), das Metas geballter Social Media-Power bestehend aus Facebook, Instagram und WhatsApp Paroli bieten könnte, **behandelt die Wall Street Meta wie einen Abstiegskandidaten**. (Daran ändert auch die Gegenbewegung nach den gestrigen Quartalszahlen wenig – die Aktie notiert immer noch 40 Prozent unter dem Startniveau des Jahres.) Die Firmengründer Mark Zuckerberg und Reed Hastings werden unterdessen als Inkarnation von Steve Ballmer und Ron Sommer gehandelt (die Älteren werden sich erinnern).

Die Lektionen aus dem historischen Abverkauf der Techaktien dieser Tage sind zahlreich:

**1.)** Ein Crash in diesen Dimensionen ereignet sich nicht in einem gesunden Markt. Ja, Techaktien haben auch im Corona-Crash vor zwei Jahren einen Dämpfer erlitten, aber weder so tief noch so lange korrigiert. Alles, was Techinvestoren durchzustehen hatten, waren vier Wochen in Folge fallende Kurse, danach stiegen die Anteilsscheine katapultartig nach oben und sollten ihren Höhenflug 18 Monate nicht mehr verlassen.

**2.)** Ergo: Die Lage an den Weltbörsen ist schlecht – so schlecht wie seit der Lehman-Krise nicht mehr. Tatsächlich haben viele Techaktien aber nicht mal 2008/09 Kursverluste in den aktuellen Dimensionen hinnehmen müssen. Es drängt sich daher inzwischen eher der Vergleich zum Jahrhundert-Crash von 2000 – 2003 auf, dem eine ähnliche exzessive Blasenbildung wie in der Corona-Pandemie vorausgegangen war.

**3.)** **They never come back**. An diese Erkenntnis müssen sich vor allem jüngere Anleger, die seit ein zwei Jahren auf Neobrokern Memaktien, Bitcoin und vielleicht Tesla & Co. zocken, erst noch gewöhnen. Die alte Boxerregel gilt auch an der Börse: Wenn Techaktien in einer Vielzahl mit Kursverlusten von 70 und mehr Prozent korrigiert haben, ist eine schnelle Erholung nicht nur unrealistisch, sondern unwahrscheinlich. Welcher Anleger glaubt heute noch, dass Netflix schnell wieder die Kurse von 700 Dollar oder Paypal von 300 Dollar, geschweige denn Shopify von 1700 Dollar sehen wird? Es mag Jahre, vielleicht eine ganze Anlegergeneration brauchen, bevor diese Niveaus – die aus heutiger Sicht auch vollkommen unangemessen erscheinen – wieder erreicht werden, falls überhaupt.

Und genau an dieser Stelle wirft der Elefant im Raum einen Schatten auf Big Tech, den in diesen Tagen noch kaum ein GAFAM-Investor wahrhaben will: **Was, wenn die jüngsten Implosion nicht nur auf Netflix, Meta, PayPal & Co. begrenzt war?** Was, wenn sich hier gerade eine Zeitenwende der Big Tech-Dominanz an der Börse abspielt, bei der die größten Dominosteine erst am Ende fallen? Microsoft und Alphabet konnten mit ihren soliden Zahlenwerken (siehe unten) einen solchen Kollaps zunächst souverän vermeiden.

Als letzte GAFAMs müssen sich **heute um 22 Uhr Amazon und Apple** mit ihren neusten Bilanzen für das abgelaufene erste Quartal beweisen. Die Erwartungen sind nach dem schwachen Start der Berichtssaison eingetrübt, aber sind sie auch eingepreist? Nach den Kursdesastern von Netflix und auch Spotify gestern scheint das keineswegs sicher. Leistet sich vor allem Branchenprimus Apple einen Lapsus, könnte eintreten, was ich [zuletzt im März angedeutet hatte](/article/apple-koennte-bald-den-boersenthron-verlieren-8ad8694b30e4656d631a6cfaf41d05bd): der iPhone-Hersteller könnte den Börsenthron verlieren. Nachfolger wäre der Champion einer längst abgeschriebenen Branche: Big Oil-Schwergewicht Saudi Aramco. Acht Prozent trennen die beiden Konzerne noch von einer Zeitenwende. Showtime in drei Stunden!

##### **+++ Short Tech Reads +++**

**[TheStreet](https://www.thestreet.com/investing/when-to-buy-alphabet-googl-stock-earnings-dip): Google enttäuscht mit Q1-Bilanz, rettet sich aber mit Aktienrückkauf über 70 Milliarden**

Auch Alphabet gelingt nicht alles: Am Dienstag nach Handelsschluss leistete sich CEO Sundar Pichai den Luxus, die Erwartungen der Wall Street nach langer Zeit wieder einmal zu unterbieten. Die Erlöse lagen im ersten Quartal mit genau 68 Milliarden Dollar marginal unter den Konsensschätzungen, während der Gewinn je Aktie mit 24,62 Dollar je Anteilsschein deutlicher hinter den Erwartungen der Analysten zurückblieb, die noch bei 25,91 Dollar gelegen hatten.

Schwachpunkt im Zahlenwerk des wertvollsten Internetkonzerns der Welt war ausgerechnet die in den letzten Jahren boomende Videotochter YouTube (Erlöse: 6,87 Milliarden Dollar vs. 7,5 Milliarden Dollar Erwartungen), die unter der aktuellen Schwäche des Anzeigenmarkts im Zuge des Ukrainekriegs leidet. Die Folge: Die Alphabet-Aktie verliert 4 Prozent an Wert.

**[CNBC](https://www.cnbc.com/2022/04/26/microsoft-msft-earnings-q3-2022.html): Microsoft liefert starkes Quartal**

Es gibt sie noch: die besser als erwarteten Big Tech-Earnings in hochgradig herausfordernden Zeiten. Microsoft legte diese Woche eine nach jeder Lesart besser als erwartete Geschäftsbilanz für das erste Kalenderquartal 2022 vor: Die Umsätze legten um 18 Prozent auf 49,36 Milliarden zu, während der Gewinn je Aktie auf 2,22 Dollar anzog. Die Folge: Anteilsscheine von Microsoft legen um 5 Prozent zu.

**[Marketwatch](https://www.marketwatch.com/story/facebook-earnings-were-not-as-bad-as-feared-but-they-were-still-pretty-bad-11651107166?mod=home-page): Meta atmet nach Quartalsbilanz auf, doch die Probleme werden noch größer**

Man kann es neben Apple das wohl meisterwartete Zahlenwerk der Quartalssaison nennen: die Meta-Bilanz, die durchwachsen ausfiel. Beim Umsatz blieb die Facebook-Mutter mit Erlösen von 27,9 Milliarden Dollar hinter den Erwartungen der Wall Street zurück, während die Gewinne auf 7,46 Milliarden Dollar zurückgingen, damit aber noch besser ausfielen als von der Wall Street erwartet. Die Folge: Eine nachbörsliche Kursexplosion von 18 Prozent.

Nach Einschätzung von Marketwatch kann Meta mit seiner nicht so einschneidend wie befürchtet ausgefallenen Bilanz die aktuellen Probleme jedoch nur maskieren: Im laufenden Quartal könnten die Erlöse nämlich nach dem eigenen Ausblick gar erstmals in der Unternehmenshistorie *zurückgehen*.

##### **+++ One more Thing: Wandelt Elon Musk mit Twitter auf den Spuren von Nikola Tesla? +++**

Keine Frage: Elon Musk hat mit seiner Twitter-Übernahme den Deal des Jahres gelandet, aber war es auch ein guter Deal? Die Frage steht im Raum, nachdem sich der Rauch verzogen hat. Es geht am Ende für Musk – und auch für die Unternehmen, deren Großaktionär er ist – nämlich nicht nur um die zuletzt diskutierte Frage, ob Musk mit den 44 Milliarden Dollar für Twitter viel bzw. zu viel bezahlt hat, sondern auch darum, was die Akquisition mit seinen eigenen Finanzen macht.

Elon Musk ist bekanntermaßen mit einem geschätzten Nettovermögen von aktuell 250 Milliarden Dollar der mit Abstand reichste Mensch der Welt, doch sein Vermögen ist keinesfalls so gut diversifiziert wie das seines neuen Erzfeindes Bill Gates, noch ist es liquide – Musks Reichtum ist am Ende des Tages dem Höhenflug der Tesla-Aktie geschuldet.

Den hat sich der 50-Jährige nun zunutze gemacht, um die Twitter-Übernahme zu finanzieren: Musk hat seine virtuellen Tesla-Milliarden besichern lassen, um an die Kredite für Twitter zu kommen – einen Teil der Aktien wird er ohnehin zur Finanzierung verkaufen müssen. Möglicherweise jedoch mehr, [wie die "NYT" berichtet](https://www.nytimes.com/interactive/2022/04/26/business/musk-twitter-financing-burst.html): Die Kredite sind nämlich an bestimmte Sicherheitsmargen geknüpft. Verliert die Tesla-Aktie etwa mehr als 40 Prozent, können die Gläubigerbanken die beliehenen Tesla-Anteilsscheine veräußern, wodurch Musks Vermögen zu schlechten Tesla-Kursen deutlich schrumpfen würde. Nach dem NYT-Bericht musste Musk am Ende **Sicherheiten von mehr als 60 Milliarden Dollar in Tesla-Aktien liefern**.

Man kann sich den Worst Case im Sinne eines epischen „There will be Blood“-Szenarios ausmalen: Geht alles schief, die Weltmärkte und vor allem die Technologiebörse Nasdaq kollabiert weiter, hat Twitter das Potenzial, Elon Musk mehr als einen empfindlichen Dämpfer zuzufügen. Der Twitter-Kauf könnte sich am Ende als der „Peak-Musk-Moment“ herausstellen: als sinnfreie Hybris eines modernen Citizen Kane oder Howard Hughes des Digitalzeitalters, der auf dem Zenit seines Schaffens einfach nicht genug bekommen konnte. Wie eng der schmale Grat zwischen erfinderischem Genie und unternehmerischem Wahnsinn verlaufen kann, musste der echte Namensgeber im 19. und dann 20. Jahrhundert erfahren: Nikola Tesla, Revolutionär der Elektrotechnik, verstarb trotz 280 Patenten 1943 mittellos in einem heruntergekommenen Hotelzimmer in New York City, das er längst nicht mehr bezahlen konnte.

<blockquote class="twitter-tweet" data-width="500" data-dnt="true"><p lang="en" dir="ltr"><a href="https://twitter.com/hashtag/Tesla?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#Tesla</a> wiped $126bn off its valuation Tue as the stock fell 12% on investors’ concern that Elon Musk may sell shares to complete his $44bn takeover of <a href="https://twitter.com/hashtag/Twitter?src=hash&amp;ref_src=twsrc%5Etfw">#Twitter</a>. Mkt cap now down &gt;$275bn since Apr4, when Musk disclosed that he increased his Twitter stake. <a href="https://t.co/haFTiU6ILp">https://t.co/haFTiU6ILp</a> <a href="https://t.co/A4MusH0mGa">pic.twitter.com/A4MusH0mGa</a></p>&mdash; Holger Zschaepitz (@Schuldensuehner) <a href="https://twitter.com/Schuldensuehner/status/1519059325821591552?ref_src=twsrc%5Etfw">April 26, 2022</a></blockquote><script async src="https://platform.twitter.com/widgets.js" charset="utf-8"></script>

Ein solches Schicksal wird Musk nicht beschieden sein, doch die unguten Schwingungen von Aufstieg-und-Fall wurden diese Woche auch an der Wall Street registriert: Am Tag nach Bekanntgabe der Twitter-Übernahme verloren die Anteilsscheine von Tesla um 12 Prozent und vernichteten dabei sage und schreibe 126 Milliarden Dollar.

Cheers + bis nächste Woche!

Nehmen die Abstürze von Netflix, Meta, PayPal & Co. das Ende der Big-Tech-Ära vorweg?