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Die Idee, dass der Mensch ein "Homo Oeconomicus", ein komplett rationales, vernunftgeleitetes Wesen ist, wurde nicht nur von Alltagserfahrungen, sondern auch von der Forschung längst widerlegt. Lisa Wolter forscht an der International University in Hamburg darüber, wie implizite Botschaften Menschen bei ihrer Entscheidungsfindung beeinflussen und wie das Gehirn beim Markenaufbau und bei Kaufentscheidungen arbeitet. Audio kann dabei eine herausragende Rolle spielen.

**Frau Professor Wolter, Ihr Herzensthema sind Emotionen. Was macht Audio mit uns Menschen?**

**Lisa Wolter:** Das Thema Emotionen beschäftigt mich in der Forschung seit einigen Jahren vor allem in Bezug auf zwei Fragestellungen: Welche methodischen und technologischen Innovationen gibt es in der Emotionsforschung und welche Erkenntnisse zu emotionalen Prozessen sind hilfreich für die Medien- und Marketingpraxis. Bei einem schwer greifbaren Thema wie Emotionen ist es wichtig, genauer auf damit verbundene Prozesse zu schauen. Die Forschung liefert zwar ausreichend viele, aber auch konträre Erkenntnisse in dem Bereich und bei der Interpretation und Adaption für die Medien- und Marketingpraxis geht teilweise einiges durcheinander. Das fängt schon bei der Verwendung grundlegender Begriffe an, wie Emotionen, Gefühle, Aufmerksamkeit etc. Auch dem Thema Audio und Emotionen wird schon seit langer Zeit versucht, näher auf den Grund zu gehen. Und zwar aus verschiedensten Blickwinkeln, wie z.B. der Psychologie, Neuroforschung, Marketing. Studien, die Zusammenhänge zwischen Musik und Emotionen untersuchen liegen zahlreich vor, kommen allerdings nicht unbedingt auf einen Nenner bzw. es zeigen sich widersprüchliche Ergebnisse. Eine einfache Erfolgsformel wie ‚Audio-Trigger = Emotion = Kauf‘ gibt es leider nicht. Um echte Erfolgsfaktoren und Wirkungsweisen zu verstehen und identifizieren, empfehle ich eine detailliertere Auseinandersetzung mit bestehenden Forschungsarbeiten.

##### Zur Person

**Prof. Dr. Lisa Wolter** ist Studiengangsleiterin für Online Marketing und Customer Centricity an der IU International University Hamburg. Darüber hinaus leitet sie derzeit ein Forschungsprojekt zum Thema Nachhaltige Media in Zusammenarbeit mit dem Consortium on Trust in Media & Technology der University of Florida und der Mediaplus Gruppe. Im Laufe ihrer Karriere implementierte sie an verschiedenen Instituten neurowissenschaftliche Methoden zur Erweiterung bestehender Methoden der Medien- und Kommunikationsforschung. Mit interdisziplinären Forschergruppen initiiert sie zudem Grundlagenstudien, aktuell unter anderem zum Thema „Development and Validation of the Media Brand Trust Scale“.

**Wenn Sie Musik ansprechen. Welche Zusammenhänge hat die Forschung da erkannt?**

Häufig wird zu vereinfacht davon ausgegangen, dass Musik auf direktem Wege Emotionen in uns hervorruft. Musik löst aber eher Reaktionen in uns aus, die als nicht-emotional oder pseudo-emotional einzustufen sind, z.B. physiologische oder motorische Effekte in Form von Mitsummen, Fuß tippen, Tanzen, oder Ähnliches. Dies kann im Gedächtnis hängen bleiben und in einem weiteren Schritt in echten Emotionen resultieren. Musik bewegt und berührt also zunächst in erster Linie, was nicht mit einer direkten emotionalen Reaktion gleichzusetzen ist. Es wird von einigen Forschern davon ausgegangen, dass Basisemotionen durch Musik getriggered werden können, und zwar durch den Einfluss persönlicher Assoziationen zu emotional geladenen Events. Musik zeichnet sich also primär dadurch aus, dass sie Menschen bewegt und berührt, was für Marken und Kommunikation besonders wertvoll sein kann. Wenn wir an Ziele in Media und Branding denken, dann gehört ein „Bewegen und/oder Berühren von Menschen“ zu einem der wichtigsten Ziele überhaupt. Emotionen sollten also nicht unbedingt immer als die ultimative Zielvariable verstanden werden. Es sollte ein stärkerer Fokus darauf gesetzt werden, wie genau es zu emotionalen Reaktionen durch auditive Einflussfaktoren kommt, um zu wissen an welchen Stellen eine Marke mit Audio etwas verstärken kann. 

**Sie sprechen auf dem Radio Advertising Summit. Hat Werbung verlernt, mit Emotionen zu spielen?**

Es gibt immer wieder Beispiele, die zeigen, dass durchaus bewegende Werbung entwickelt wird. Es ist in der heutigen Kommunikationslandschaft nur noch herausfordernder geworden, Konsumenten mit Botschaften zu erreichen oder gar zu berühren. Klassischer Werbung gegenüber haben Konsumenten eher eine ablehnende bis vermeidende Haltung und anspruchsvollere echte Kommunikation wird wertgeschätzt. Auf veränderte Kommunikationsbedürfnisse muss eingegangen werden, um Relevanz zu erzeugen, was keine neue Erkenntnis ist. Neue Technologien bieten Marken und Agenturen doch eigentlich unzählige Möglichkeiten die kommunikative Komfortzone zu verlassen und einzigartige Markenerlebnisse zu kreieren. Audio-basierte Technologien werden beispielsweise in der Markenkommunikation bisher eher noch zaghaft eingesetzt. Dabei bieten z.B. Podcast ein sehr intimes Medium für die Markenkommunikation, dass im Vergleich zu anderen digitalen Medien sehr viel Nähe zum Nutzer schaffen kann.

**Spricht man Emotionen in einem Kanal wie Audio direkt an oder geht es vor allem um implizite Codes nach dem Modell des Neuromarketings?**

Eine allgemeingültige Zauberformel für wirksame Kommunikation gibt es nicht, da Konsumenten und Marken zu individuell sind und aufgrund von Veränderungsprozessen auch nicht statisch agieren und reagieren. Allerdings ist eine systematische Nutzung von Erkenntnissen wie z.B. über die Qualität von Umfeldern aus Sicht der Zielgruppe für die Planung von Kampagnen ratsam. Wenn bekannt ist, ob allein nur durch das rezipierte Umfeld eine bestimmte Verfassung des Konsumenten vorliegt, z.B. high- vs. low-involvement Nutzung, kann das ein wichtiger Baustein für den Erfolg einer Kampagne sein. Audio-Kanäle weisen zum Beispiel eine Reihe an Qualitäten als Kommunikationsfläche für Marken auf. Unter anderem, dass es ein feel-good-medium ist, oder dass durch die Abwesenheit visueller Signale sehr tiefgehende kognitive Prozesse beim Nutzer aktiviert werden.

**Wir sehen eine schwindende Loyalität zu Marken. Die Menschen vertrauen Marken immer weniger. Kann es trotzdem gelingen, sie emotional anzusprechen, gerade in Krisenzeiten?**

Interessanterweise zeigen aktuelle Studien, dass Konsumenten in der Pandemie die Beziehung zu Marken, denen sie sich emotional nahe fühlen sehr wertschätzen und für diese Marken bereit sind, auch mehr zu zahlen. Marken sollten statt auf Loyalität auf Intimität setzen und die Beziehung zu Konsumenten noch stärker in den Vordergrund rücken. Gerade wenn es um emotionale Kommunikation geht, muss die Operationalisierung von Markenkonstrukten entsprechend überdacht werden. Ist Loyalität die richtige Messgröße für Marken, die auf emotionale Verbindungen setzen? Bei der Marken-Intimität geht es darum die emotionalen Attribute der eigenen Marke zu identifizieren und in Einklang mit denen der Konsumenten zu bringen. Marken, die wie Apple besonders hohe Marken-Intimitäts-Scores aufweisen, zeichnen sich durch eher überraschende und unkonventionelle Strategien aus, um emotionale Verbindungen zu Konsumenten herzustellen. Es gibt keinen falschen oder richtigen Weg, aber es zeigt sich, dass die Marken erfolgreich sind, die viel in ein Verstehen-Wollen, welche Emotionen das Verhalten der Zielgruppen beeinflussen und was die eigene Marke in dem Zusammenhang einzigartig macht, investieren.

> "Der Sound einer Marke spielt beim Aufbau emotionaler Bilder eine nicht zu unterschätzende Rolle."

**Marketingberater verlangen von den Unternehmen eine möglichst konsistente Kommunikation. Gilt das auch für die emotionalen Bilder, die man transportiert?**

Im besten Falle sind die emotionalen Facetten einer Marke auf deren Persönlichkeit abgestimmt und tragen zu einem stimmigen Gesamtbild bei. Der Sound einer Marke spielt beim Aufbau emotionaler Bilder eine nicht zu unterschätzende Rolle, die einige Marken gekonnt spielen. Audio kann beim Aufbau einer konsistenten Identität als Verstärker wirken und umfasst verschiedenste akustische Elemente wie Melodien aber auch den Einsatz von prägnanten Stimmen.

**Haben Sie ein Beispiel?**

Ja, seit mehr als 20 Jahren setzt Ikea konsequent auf diese eine charakteristische Stimme eines schwedischen Schauspielers, die uns in Radio, TV-Spots und anderen Kanälen auf sympathisch-unaufdringliche Weise Tipps zur Verschönerung unseres Zuhauses mitgibt. Mit der Stimme untermauert die Marke konsistent die Marken-DNA ihres einzigartigen Store Formats: Ikea-Produkte erlebbar machen, ohne bei den Konsumenten einen Druck zu erzeugen, etwas kaufen zu müssen. Damit produziert die Marke emotionale Erlebnisse in den Köpfen der Konsumenten, die bereits durch kurze Audio-Sequenzen, wie die bekannte Ikea-Stimme, weiter verfestigt werden können.

**Im Podcast ist das gängige Werbemittel der Host-Read, damit die Werbung möglichst im gleichen Duktus bleibt, wie der Podcast. Wäre es nicht richtiger, wenn Audiowerbung hier bewußt Kontrapunkte setzt?**

Entscheidend ist, dass die Advertising Likeability funktioniert. Es ist in zahlreichen Studien belegt worden, dass die Einstellung gegenüber der beworbenen Marke bis hin zu deren Verkaufszahlen positiv beeinflusst werden kann, je mehr die Kampagne einer Marke gemocht wird. Dazu zählt nicht nur der Content der Werbung, sondern auch die begleitende Musik, die Auswahl an Erzähl-Stimmen oder die entsprechende Medienplatzierung. Ob Kontrapunkte also einen Beitrag leisten, kann nur aus Sicht und auf Basis von Reaktionen der Podcastnutzer beurteilt werden

> "Die heutige Medienlandschaft ist für Konsumenten durch einen visuellen Overkill geprägt."

**Audio-Branding gilt als Königsdisziplin im Marketing, viele halten es aber auch für verzichtbar. Was meinen Sie?**

Wenn man sich die in empirischen Studien nachgewiesenen positiven Marketingeffekte vor Augen führt, die durch Audio ausgelöst werden können, wäre es verschenktes Potential, auf Audio-Branding zu verzichten. Denn mit Hilfe von audiovisuellen Reizen kann in Kommunikationsprozessen die Aufmerksamkeit erhöht, die zeitliche Wahrnehmung reduziert, die Informationsverarbeitung und Erinnerung an Botschaften verbessert, das Markenimage positiv beeinflusst, oder sogar die Kaufbereitschaft erhöht werden. Die heutige Medienlandschaft ist für Konsumenten durch einen visuellen Overkill geprägt, da stellt Audio ein ansprechendes Kontrastprogramm für die Markenkommunikation dar.

**Bei welchem Podcast oder Musikstück schlägt Ihr Herz höher?**

Die Antwort mag unbefriedigend sein, aber ich könnte mich nicht auf einen Song oder Podcast festlegen. Je nach Tageszeit, Stimmung, Lebensabschnitt, Umfeld und anderen Faktoren gibt es wunderbare Titel, die mich in der jeweiligen Situation wie ein guter Soundtrack begleiten können und in einem anderen Setting wiederum gar nicht passen.

"Der Sound einer Marke darf nicht unterschätzt werden"