MEEDIA

Kampagnen

Wie schnell man als Nazi-Band auf Spotify, YouTube oder Deezer erfolgreich sein kann, haben im vergangenen Jahr die „Hetzjäger“ gezeigt. Die von „Laut gegen Nazis“ und der Agentur Philipp und Keuntje „gegründete“ Band hatte binnen weniger Wochen mehr als 100.000 Klicks allein auf Spotify. Die „Band“ gab sich sich selbst als neofaschistisch aus und bediente sich darüber hinaus im Video aller Klischees der Nazis.

<iframe title="Laut Gegen Nazis // Hetzjaeger - Kameraden" width="500" height="281" src="https://www.youtube.com/embed/8RJYruaSl4A?feature=oembed" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture" allowfullscreen></iframe><small><em>Die Hetzjäger wurden binnen weniger Wochen zu Klickstars auf Spotify, Deezer, YouTube &amp; Co.</em></small>

So marschiert im Video ein Mann mit einer Fackel durch einen dunklen Wald. Natürlich trägt er Lederjacke und Fliegerstiefel. Und es werden Weltkriegsbomber vor schwarz-weiß-rotem Hintergrund gezeigt. Auch der Text bedient sich des Vokabulars, auf das die rechte Szene anspringt. Er erzählt von Deutschland, das sich Stück für Stück "dem Feind" ergibt … bis sich ab der zweiten Strophe das Blatt wendet und vom antifaschistischen Kampf erzählt wird: „Wenn ihr das hört, sind wir vom Algorithmus längst angespült. Wenn ihr das hört, ist es eh schon lange zu spät. Denn wir, wir sind nicht eure Kameraden. Wir geben nicht nach. Wir kicken die Faschisten aus der Playlist raus, es braucht nur einen Stoß. Mit aller Kraft gegen den Hass!“

##### Keine Argumente parat

Der Song, von dem zunächst nur die erste Strophe als Teaser auf den Plattformen hochgeladen wurde, wurde geteilt, bis etwas Unerwartetes passierte: Portale wie "Belltower News" warnten vor der neuen Nazi-Band. Einige Rechte stellten die Gesinnung der Band infrage und meinten gar, es könne sich um eine Böhmermann-Aktion handeln. So kam es, dass der vollständige Song von rechten Kanälen öffentlich gemacht wurde.

![](https://wp.meedia.de/wp-content/uploads/2022/11/Screenshot-2022-11-07-at-16-53-24-Inhalte-melden-Spotify.png)
*Im Eigenversuch der MEEDIA-Redaktion, einen diskriminierenden Beitrag zu melden, wurde der offensichtlich maschinell geführte Chat von Spotify beendet. Nachfrage? Fehlanzeige!*

Dennoch sieht Jörn Mende, Gründer und Vorsitzender des Vereins „Laut gegen Nazis“ die Aktion als Erfolg. Schließlich sei es darum gegangen, die Kritik an den Streaming-Plattform-Betreibern fortzusetzen, mehr darauf zu achten, diskriminierende Songs auszuschließen.

Bislang allerdings ist der Erfolg überschaubar. Zwar hatte Spotify sich bei "Laut gegen Nazis" gemeldet und eingeräumt, die Kampagne wahrgenommen zu haben. Auch stellte man nach Auskunft von Philipp und Keuntje in Aussicht, dass sich die Streamingplattform mit den Initiatoren zusammensetzen und nach einer Lösung suchen wollen. „Auf mehrfache Nachfrage haben sie aber nicht mehr reagiert“, erläutert Nicolas Klein, Teamleiter und Creative Director bei Philipp und Keuntje. Auch auf eine Teilnahme beim Panel zum Thema glänzte Spotify mit Abwesenheit. Während sich Frédéric Antelme, VP Content & Production bei Deezer, den Fragen der Moderatorin und des Publikums stellte. Spotify hatte nach Angaben des Veranstalters mit der Begründung abgesagt, man habe keine Argumente an der Hand, mit der die eigene Position verteidigt werden könnte. „Was allerdings passiert ist, dass von uns gemeldete Songs und Bands entfernt wurden“, sagt Klein ein. Um sofort einzuschränken: „Aber auch nicht alle und nicht konsequent.“

##### Über 400 „Hitler“-Playlists

Also nimmt der Algorithmus weiter seinen Lauf. Aktuell hat laut Jörn Menge gibt es alleine mit dem Begriff „Hitler“ auf Spotify über 400 Playlists. „Songs, die dazu aufrufen Schwule zu ertränken oder zu verbrennen, erhalten mehr als 330.000 Streams,“ sagt er. Für ihn ist das beschämend. Unhaltbar findet er, dass die Betreiber das Problem bislang weitgehend ignorieren. Auf Spotify besteht bis heute lediglich die Möglichkeit, problematische Profilbilder, Angebote oder Beschreibungen zu melden, nicht aber menschenfeindliche Songs oder Podcasts. Wodurch der weiteren Verbreitung Tür und Tor geöffnet ist.

![](https://wp.meedia.de/wp-content/uploads/2022/11/HANS_Title-1024x576.jpg)
*H.A.N.S. steht für „Hateful Audio Notification Service“*

Das will "Laut gegen Nazis" nicht hinnehmen und selbst aktiv werden. Da der Verein aber natürlich nicht das gesamte Programm der Streaming-Dienstleister im Blick haben kann, ist der Verein auf die Menschen angewiesen. Als Vehikel dient der weltweit am meisten genutzte Messanger-Dienst WhatsApp, respektive H.A.N.S. Wobei der Name Programm ist. Zum einen ist dies ein klassischer deutscher Name, der sich bis 1960 großer Beliebtheit erfreute und aktuell vor allem in den neuen Bundesländern wieder vermehrt Anklang findet.

![](https://wp.meedia.de/wp-content/uploads/2022/11/HANS_SoGehts-1024x220.jpg)
*So arbeitet H.A.N.S.*

H.A.N.S. steht aber vor allem für „Hateful Audio Notification Service“ – dem WhatsApp-Chat-Bot, mit dem Nutzer:innen die Möglichkeit bekommen, problematische Inhalte bei Spotify zu melden. Dazu brauchen sie lediglich den verdächtigen Inhalt unter der WhatsApp-Nummer +49 1525 9460 767 zu teilen. Über den Chat sammelt H.A.N.S. dann alle nötigen Informationen und formuliert daraus automatische eine Nachricht an Spotify, sowohl per E-Mails als auch als Tweet.

##### Sebastian Krumbiegel als Unterstützer

![](https://wp.meedia.de/wp-content/uploads/2022/11/SebastianKrumbiegel2019_CreditEnricoMeyer_02.jpeg)
*Sebastian Krumbiegel, Sänger der „Prinzen" engagiert sich seit Jahren gegen Diskriminierung und den Rechtsruck in der Gesellschaft – Foto: Enrico Meyer*

Als Unterstützer konnte Menge den Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel gewinnen. Krumbiegel engagiert sich seit vielen Jahren für das Jugendfestival "Leipzig. Courage zeigen – Junge Musiker gegen Gewalt und Rassismus", ist Unterstützer der Amadeu Antonio Stiftung, des Bündnisses Dresden Nazifrei, des Flüchtlingsrates Leipzig, des Opferfonds Cura und des Lokalen Aktionsplans Leipzig.

Krumbiegel selbst verurteilt jegliche Diskriminierung, vor allem in der Musik. „Es kann nicht sein, dass viele Streaming-Anbieter noch immer verachtende Inhalte auf ihren Plattformen tolerieren“, sagt er und betont, "Laut gegen Nazis" dafür zu bewundern, wie viel Herzblut sie in das Projekt stecken.

##### 2022flagged

Auf H.A.N.S. allein scheint man sich bei "Laut gegen Nazis" allerdings nicht verlassen zu wollen. Parallel zum Launch startet der Verein eine eigene Social-Media-Kampagne, um die Nutzer:innen zu sensibilisieren. Unter dem Hashtag #2022flagged können diskriminierende Inhalte angeprangert werden. Dadurch sollen sie nicht nur für die Community sichtbarer werden, sondern vor allem auch für die Streamingdienste.

Der Zeitpunkt des Kampagnenstarts ist übrigens mit Bedacht gewählt. „Zum Jahresende erhält Spotify durch seinen Jahresrückblick viel Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken“, erklärt Mende. „Unter #2022flagged präsentieren wir das negative Gegenstück, an dem sich alle beteiligen können.“

H.A.N.S. meldet diskriminierende Songs an Spotify