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Marketing

„Unsere erste klimaneutrale Milch“ (Aldi) oder „weltweit erstes zertifiziertes klimaneutrales Öl gemäß der BSI-Norm PAS 2060“ (BP Europe) – solche Aussagen auf Produktverpackungen und in Produktwerbungen finden sich zuhauf in deutschen Landen. Menschen hören beim Thema Klima immer genauer hin, nicht zuletzt dank der Jugendbewegung Fridays for Future, Waldbränden, Geschichten über gefährdete Inseln und mahnenden Wissenschaftlern im TV. Diese Omnipräsenz bekommt in jüngerer Zeit eine neue Dimension: Die Krise hat die eigene Haustür erreicht. Teile Deutschlands werden von einem sehr heißen und trockenen Wetter heimsucht und Rheinland-Pfalz und NRW erlebten eine nie gekannte Regenflut.

So ist das Thema Klima in den Köpfen der Menschen fest verankert. Wenn Unternehmen und Marken hier Hilfe anbieten, dann soll dies freilich auch für eine positive Emotion in der jeweiligen Zielgruppe sorgen. Daher verwundert es nicht, dass Verbraucher schon fast auf Schritt und Tritt mit Werbung mit klimabezogenen Aussagen konfrontiert werden.

Der Mechanismus wird seit Jahren von Unternehmen angewandt. Dabei gibt es immer wieder selbst verschuldete Rückschläge. Man denke an den Volkswagen-Konzern, der sein Bluemotion-Programm um weniger Schadstoffe auszustoßen 2005 startete und später der Schummelei im Abgasskandal überführt wurde. Greenwashing hat eine lange Tradition. Um dem einen Riegel vorzuschieben, geht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) aktuell gegen acht Unternehmen juristisch vor. Irreführende Werbung wirft der Verein ihnen vor und hat kürzlich Klage auf Unterlassung bei Landgerichten gegen die drei Mineralölunternehmen BP, Shell und Total eingereicht sowie gegen Beiersdorf (Nivea). Das bestätigt die DUH auf Anfrage von MEEDIA. Zuvor waren neben diesen vier Unternehmen vier weitere aufgefordert worden, künftig „irreführende Werbeversprechen“ zu unterlassen. Zwei haben dies zugesagt, Green Airlines und der Kosmetikhersteller Mother Nature. Mit zwei anderen Unternehmen ist die DUH noch im Gespräch, ob man sich außergerichtlich auf Unterlassung einigen kann (Stand 21. Juli). Bei diesen beiden handelt es sich um die Drogerieketten Rossmann und DM.

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*Agnes Sauter, Leiterin Ökologische Marktüberwachung, und Geschäftsführer Jürgen Resch, beide Deutsche Umwelthilfe – Fotos: DUH*

Zum Start der Aktion sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer DUH: „Das Werbeversprechen der Klimaneutralität ist vielfach Verbrauchertäuschung. Oftmals ist es eher ein CO2-Ablasshandel, mit dem sich Unternehmen grün waschen.“ Die „Absurdität vermeintlicher Klimaneutralität“ wird für Resch bei der Überkompensation deutlich, also wenn mehr Zertifikate gekauft werden, als CO2 ausgestoßen wird: „Je mehr angeblich ‚überkompensierte‘ Flugreisen stattfinden, umso besser müsste es in dieser Logik fürs Klima sein. Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Diesen Irrsinn nehmen wir nicht weiter hin und werden festgestellte oder uns gemeldeten Rechtsverstöße notfalls auf den Klageweg bringen.“

##### Dreistes Greenwashing

Im Gespräch mit MEEDIA gibt sich Agnes Sauter, Leiterin des DUH-Bereichs Ökologische Marktüberwachung, überzeugt, dass nahezu in allen Branchen Greenwashing mit Begriffen wie CO2-neutral, klimaneutral oder klimapositiv bei der Beschreibung von Produkten und Dienstleistungen betrieben wird. „Bei den nunmehr eingereichten Klagen handelt es sich um Unternehmen, die unseres Erachtens in besonders dreister Form ihre Produkte grünwaschen.“

Im Gegensatz begrüße es die DUH, wenn sich Firmen bei „ehrlichen“ Projekten zur Erhaltung der Natur, der Artenvielfalt oder des Klimaschutzes engagieren. „Und selbstverständlich dürfen sie auch darüber sprechen. Was nicht geht ist allerdings, damit den Eindruck zu vermitteln, alle negativen Folgen seien ‚kompensiert‘. Das ist eben nicht der Fall“, so Sauter. Gerade Mineralölunternehmen, Autobauer oder Fluggesellschaften dürften nicht durch Greenwashing davon ablenken, dass die Fortbewegung im Flugzeug oder einem Pkw mit entsprechenden CO2-Emissionen verbunden ist.

> „Die begleitenden Dokumente wie die Projektbeschreibung sind auch öffentlich einsehbar.“
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> Eine Beiersdorf-Sprecherin

Einen Knackpunkt stellen auch die Umweltschutz- und Klimaschutzprojekte dar, die für die Kompensationen unterstützt werden. Für Sauter ein Unding, dass Unternehmen in Deutschland CO2-Emissionen verursachen und mit einer Aussage zur Kompensation der Emissionen durch Kompensationsprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern werben, obwohl „nur unzureichend“ nachgewiesen werde, dass die „angebliche“ Kompensation auch stattgefunden hat und den Klimaschaden langfristig ausgleichen kann.

Sauter fordert, dass Informationen über die Kompensationsprojekte und ihre Kompensationsleistung einerseits und die zugrundeliegenden Verträge und Vereinbarungen andererseits „offen und frei zugänglich“ für Verbraucher einsehbar sind. „Nach unseren Informationen erfolgt auch keine Kontrolle seitens staatlicher Stellen, ob die behaupteten Einsparungen tatsächlich so stattgefunden haben beziehungsweise stattfinden.“ In Richtung der Unternehmen fordert die DUH, Produkte dahingehend zu verändern, dass sie einen möglichst geringeren ökologischen Fußabdruck – sowohl in der Herstellung, beim Transport und durch den Konsum. Schadstofffreiheit, Plastikfreiheit, Langlebigkeit, Reparierbarkeit und möglichst faire Produktionsbedingungen sind für Sauter weitere wichtige Kriterien für ein klimafreundliches Produkts.

##### Was Unternehmen zur Klage sagen

MEEDIA hat den vier Unternehmen, gegen die die DUH eine Unterlassungsklage vor Gericht eingereicht hat, Fragen geschickt. Zum Beispiel: Werden Sie bei künftigen Produktbotschaften hinsichtlich Klimaaussagen anders vorgehen? Von Total kam keine Antwort, von BP Europe, Produkteanbieter unter der Marke Castrol, eine kurze: „Wir werden uns gegen die Klage der DUH verteidigen, weil wir aus unserer Sicht ausreichend erklären, was CO2-Neutralität und/oder Klimaneutralität im jeweiligen Kontext der von der Umwelthilfe beanstandeten Inhalte bedeutet. Darüber hinaus gibt es einen klaren Prozess rund um die Klimaneutralität von Castrol-Produkten und relevante Zertifizierungen zur Verpflichtung zur CO2-Neutralität nach einem international anerkannten Standard. Wir halten die Klage der Umwelthilfe daher für unbegründet, aber wir sind immer gesprächsbereit, wenn es darum geht, die Kommunikation im Interesse der Verbraucher:innen weiterzuentwickeln.“ Weitere Auskünfte wolle BP mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht geben.

Bei Shell hat DHU die Verwendung von „CO2-neutral“ und „CO2 Ausgleich“ auf an den Shell-Tankstellen verkauften „1 Liter Helix Motorenöl“-Flaschen sowie pro getankten Liter Benzin oder Diesel beanstandet. Der Grund laut Shell: „Wir sollen die von uns unterstützten Klimaschutzprojekte nicht im Einzelnen aufgeführt haben. Wir möchten betonen, dass wir unsere den Klimaschutz und daher auch den erhobenen Vorwurf der Irreführung sehr ernst nehmen. Jedoch konnten wir nach Prüfung der Sach- und Rechtslage eine Irreführung im Sinne der §§ 5 bzw. 5a UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb – Anm.d.R.) nicht feststellen.“

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*Ina von Holly, GWA-Vorständin und geschäftsführende Gesellschafterin der Werbeagentur We Do: "Unsere Mitarbeitenden identifizieren sich stark mit unseren Werten und wären nicht bereit, für Greenwashing oder ethisch fragwürdige Produkte zu arbeiten.“ – Foto: We Do*

Hinsichtlich einer veränderten künftigen Produktwerbung gibt sich Shell recht vage. Das Unternehmen prüfe seine Produktbotschaften inhaltlich und nach geltendem Recht des Landes, in dem es die Produkte verkauft.  Das Marketing ist allerdings europäisch aufgestellt und orientiert sich in seinen Botschaften am – auch rechtlich – „größtmöglichen“ gemeinsamen Nenner. „Insoweit sind in einem dynamischen europäischen Rechtsumfeld gelegentliche Anpassungen denkbar“, so Shell.

Beiersdorf sieht keinen Anlass für die von DUH geforderte Unterlassungserklärung, das habe das Unternehmen in einem Antwortschreiben der Umwelthilfe dargelegt. Klimaschutz hat bei Beiersdorf nach eigenen Angaben einen „sehr hohen“ Stellenwert: „Wir haben wir ein ambitioniertes 2025-Klimaziel veröffentlicht, dass den Anforderungen des Pariser Klimaabkommens von 1,5 Grad entspricht. Wir würden uns daher gern mit der Deutschen Umwelthilfe dazu austauschen und haben in unserem Antwortschreiben ein konkretes Gesprächsangebot gemacht. Eine Antwort der DUH ist aktuell noch ausstehend. Unserer Kenntnis nach gibt es kein gerichtliches Vorgehen.“

In der Kommunikation nutzt Beiersdorf nicht die Bezeichnung „klimaneutral“, sondern „klimaneutralisiert“ (auf Produktebene). „Somit unterstreichen wir gegenüber den Verbraucher:innen, dass die betroffenen Produkte einen verbleibenden CO2-Fußabdruck haben, der durch unser Engagement ausgeglichen wird“, heißt es von dem Anbieter von Marken wie Nivea und Tesa.

Beiersdorf verwende den Begriff „klimaneutralisiert“ nur für Produkte, bei denen „signifikante“ Maßnahmen getroffen wurden, um deren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Zum Beispiel durch den Einsatz von Rezyklat in Plastikverpackungen, durch Gewichtsreduktion der Verpackung oder durch die Optimierung der Formeln hinsichtlich der Inhaltsstoffe. „Verbleibende Emissionen werden dann, wie auf den Produkten und in der Kommunikation zu diesen ausgeführt, durch zertifizierte Aufforstungsprojekte ausgeglichen.“

Für die Auswahl der Klimaschutzprojekte wie der Aufforstung berufe sich Beiersdorf auf „anerkannte Standards“ wie den Verified Carbon Standard (VCS), der die Ausstellung, Validierung und Stilllegung von Carbon Credits regelt. „Unser Ziel ist es, reale, messbare und dauerhafte positive Klimaeffekte zu erzielen. Wie uns der VCS hierbei hilft, erläutern wir am Beispiel des Aufforstungsprojektes Liangdu. Die begleitenden Dokumente wie die Projektbeschreibung sind auch öffentlich einsehbar.“

##### Was Markenberater sagen

Für Unternehmen als Employer Brand ist es enorm wichtig, transparent und ehrlich über die Klimaverträglichkeit ihrer Produkte zu informieren. Die eigenen Mitarbeiter können gut einschätzen, ob die Werbebotschaften mit der Haltung und den Richtlinien ihres Unternehmens in Einklang stehen – oder nicht. Eine Schein-Haltung zum aktiven Klimaschutz ist schnell entlarvt, spricht sich rum und schadet dem Ruf als guter Arbeitgeber.

Stefan Kniess, Inhaber der Beratung Green From Within, rät den verklagten Unternehmen, möglichst schnell in die offene Kommunikation nach innen und nach außen zu gehen: „Schließlich liegt in der Unterlassungsklage auch eine Chance, in den offenen Dialog mit Stakeholdern zu gehen, um konkret bessere Lösungen zu finden, die dann wiederum an Verbraucher und Mitarbeitende kommuniziert werden. Im Kontext einer glaubwürdigen Nachhaltigkeitskommunikation geht es darum, nachvollziehbar und konsequent Schritte in die richtige Richtung zu vermitteln. Wer versucht, sich mit vollmundigen Versprechungen oder intransparenter und inkohärenter Kommunikation durchzulavieren, der wird zurecht scheitern.“

> „Wer versucht, sich mit vollmundigen Versprechungen oder intransparenter und inkohärenter Kommunikation durchzulavieren, der wird zurecht scheitern.“
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> Markenberater Stefan Kniess

Agenturen nehmen sich des Themas verstärkt an. So gründete der Branchenverband GWA im November 2021 das Ressort Nachhaltigkeit mit Ina von Holly als Vorständin. „Gerade bei Nachhaltigkeit sollten immer Wort und Tat übereinstimmen. Wenn ich mich dazu als Agentur committe, sollte das in der Unternehmens-DNA verankert und damit in allen Kommunikationsprojekten messbar und nachprüfbar sein“, so von Holly, im Hauptberuf geschäftsführende Gesellschafterin der Berliner Werbeagentur We Do.

Ihre 40-köpfige Agentur hat eine Nachhaltigkeitsbeauftragte, auf deren Betreiben hin We Do seit letztem Jahr auf Basis des Deutschen Nachhaltigkeitskodex zertifiziert und 2022 als Agentur klimaneutral ist.

„Wenn wir für etwas angefragt werden, was wir inhaltlich und moralisch nicht vertreten, sagen wir ab. Das haben wir schon immer so gehandhabt. Unsere Mitarbeitenden identifizieren sich stark mit unseren Werten und wären nicht bereit, für Greenwashing oder ethisch fragwürdige Produkte zu arbeiten“, sagt von Holly.

Deutsche Umwelthilfe vs Klimatrickser