MEEDIA

Medien

Diversity ist eines der großen Schlagwörter unserer Zeit. Insofern wäre es verwunderlich, würde darüber nicht auch in der Medienbranche diskutiert. Etwa im *Stern,* genauer, im [aktuellen Editorial](https://www.stern.de/sonst/stellenangebote-beim-stern-9371786.html) der Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier. Ein Beitrag, der mit einer konkreten Forderung an sich selbst einhergeht: "Wir brauchen mehr Menschen anderer Nationalitäten, Kulturen und Muttersprachen, um die Art und Weise, wie der *Stern* Geschichten erzählt, an die Realitäten in unserem Land, in dem jede vierte Person einen Migrationshintergrund hat, anzugleichen", schreibt Gretemeier.

Ihr Editorial ist einerseits Meinungsbeitrag und es ist auch Stellenausschreibung – konkret geht es um sieben offene Stellen, vom Redakteur bis zum Praktikanten –, andererseits ist das, was Gretemeier schreibt, selbstredend auch PR in eigener Sache. Das verrät schon der Einstieg, der etwas ungünstig gewählt ist: "Nach einer aktuell erhobenen Zählung des gemeinnützigen Vereins Pro Quote Medien sind wir das einzige Medium Deutschlands, bei dem Frauen und Männer gleichermaßen Führungspositionen besetzen”, lobt Gretemeier sich und ihre Redaktion. Mal abgesehen vom Selbstlob, das besonders Medien selten gut steht, spricht Pro Quote ausdrücklich von “Leitmedien” – und eben nicht von “allen Medien”, wie die Chefin suggeriert. Aber zurück zum Thema.

##### Ein Arbeiterkind aus Halle

![](https://next.meedia.de/wp-content/uploads/2020/05/Krischke_cr_Bertil-Brahm-1.jpg)
MEEDIA-Redakteur Ben Krischke – Illustration: Bertil Brahm

Eine gewisse Vielfalt in Redaktionen ist zweifellos wünschenswert. Das zeigen auch entsprechende Studien, aus denen hervorgeht, dass diverse Mannschaften die erfolgreicheren Teams sind. Dass sich Diversität allerdings primär an ethnischen Herkünften und Geschlechtern bemessen lässt, ist der große Irrtum in dieser Debatte. Ein Migrationshintergrund oder ein bestimmtes Geschlecht können zwar zu mehr Diversität beitragen, Garanten für Vielfalt im eigentlichen Sinne sind sie aber nicht.

Denn entscheidend sind unterschiedliche Biografien, zu denen auch das soziale Milieu, dem ein Mitarbeiter entstammt, gehört. Ein Arbeiterkind aus Halle an der Saale kann mehr Diversität in eine Redaktion einbringen, als eine Frau mit Migrationshintergrund, die im noblen Grünwald bei München aufgewachsen ist. Auch unterschiedliche Wertvorstellungen und politische Sichtweisen können für mehr Diversität sorgen – wenn sie denn zugelassen werden. Damit tut sich sogar die renommierte [New York Times](/article/redakteurin-bari-weiss-beklagt-oeffentlich-die-zustaende-bei-der-nyt-und-kuendigt-96690d38917425ead4814ba05a5a2a24) schwer.

##### Sozialer Aufstieg und berufliche Perspektiven

Hinzu kommt, dass sich junge Leute heute ganz genau überlegen müssen, ob sie den Journalistenberuf ergreifen wollen: schlechte Bezahlung, vor allem in den Anfangsjahren, viel Geklüngel, das Kontakte wichtiger werden lässt als Talent, unsichere Arbeitsplätze und klick-getriebene Online-Redaktionen mit Schichtarbeit, wirken da weniger einladend als manch klassischer Ausbildungsberuf ohne Studium.

Zumal sich Arbeiterkinder – und viele der Studenten mit Migrationshintergrund sind ja genau das –, von einem Studium eigentlich sozialen Aufstieg und echte berufliche Perspektiven erwarten. Und ihre Familien – hier schreibe ich aus eigener Erfahrung als Arbeiterkind – fordern das auch ein. Wer wenig hat, dem ist das, was am Ende bei rum kommt, unterm Strich nochmal wichtiger als die freie Entfaltung der Sprößlinge.

Wenn Diversität im Journalismus also ausdrücklich erwünscht ist – echte Diversität, also mehr als Herkunft und Geschlecht – reicht es nicht, um bestimmte Minderheiten zu werben. Die Branche, ergo die Verlage und Redaktionen, müssen mehr noch Sorge tragen, dass der Beruf des Journalisten lohnenswert genug bleibt, um manch Unsicherheit in Kauf zu nehmen. Was wohl ein Praktikant beim *Stern* verdient?

Diversität ist mehr als ethnische Herkunft und Geschlecht