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**Sie moderieren für die Deutsche Welle die Sendung "The 77 Percent", ein Magazin für junge Menschen in Afrika. Was ist das Besondere an dem Format?**Wir suchen nach Lösungen. Bei meinen Debatten frage ich meine Gesprächsteilnehmer immer wieder danach. Mir ist bewusst, dass dies auf den ersten Blick kontraproduktiv erscheinen mag, schließlich haben viele Menschen in der Region genug Probleme, die sie jeden Tag lösen müssen. Aber meine Erfahrung ist, dass nur die Menschen, die unterdrückt werden, auch wirklich etwas ändern können. Denn diejenigen, die für ihre Unterdrückung verantwortlich sind, haben normalerweise kein Interesse daran, etwas zu verändern. Das ist der Grund, warum ich zu Debatten ermutige. Dann passiert etwas. Ich habe es immer wieder erlebt, dass nach einer Debatte Kontakte ausgetauscht worden sind und gemeinsame Projekte angestoßen wurden. Für diese Magie des Moments arbeite ich.

**Funktioniert das auch andersherum? Halten Ihre Gesprächspartner Sie für eine Expertin und bitten Sie um Lösungsvorschläge?**

Auf jeden Fall, das passiert immer wieder. Es ist nicht ungewöhnlich, dass mich Leute anschreiben und fragen, wo man zum Beispiel eine Recyclinganlage findet. Ich habe auch nicht immer Antworten parat. Aber da viele Menschen in afrikanischen Ländern keinen Zugang zu Informationen haben, suchen sie Hilfe bei Experten. Das Feedback, das meine Redaktion und ich immer wieder bekommen, ist, dass die Menschen von uns nicht nur wissen wollen, wie die Welt aussieht, sondern auch, wie man die Probleme in der Welt lösen kann.

**Ist das besonders wichtig für junge Menschen?**

Auf jeden Fall. Vor allem in Afrika, weil sich in dieser Region der Staat nicht so um seine Bürger und Bürgerinnen kümmert, wie es ein Staat tun sollte. Die jungen Leute sind auf sich allein gestellt. Wenn sie keine Lösungen entwickeln, schaden sie sich selbst. Die Dinge ändern sich fortlaufend, immer wieder tauchen neue Probleme auf. Wenn sie die Hände in den Schoß legen und hoffen, dass die Regierung kommt und ihre Probleme löst, können sie lange warten.

> „Journalisten müssen aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen.“
> 
> Edith Kimani

##### Zum Buch: Journalismus auf der Couch

\[caption id="attachment\_1035975" align="alignnone" width="186"\]![Cover "Journalismus auf der Couch – so kommen wir aus der Krise. Lösungsvorschlaege von Isabel Schayani, Maren Urner, Giovanni di Lorenzo, Ulrik haagerup ua-978-3-451-39342-6-75963](https://wp.meedia.de/wp-content/uploads/2022/03/journalismus-auf-der-couch-so-kommen-wir-aus-der-krise-loesungsvorschlaege-von-isabel-schayani-maren-urner-giovanni-di-lorenzo-ulrik-haagerup-u-a-978-3-451-39342-6-75963-186x300.jpeg) Foto: Herder Verlag\[/caption\]

So kommen wir aus der Krise. Lösungsvorschläge von Isabel Schayani, Maren Urner, Giovanni di Lorenzo, Ulrik Haagerup u. a. von Ellen Heinrichs und Astrid Prange de Oliveira   
  
Wie wäre es, wenn die Nachrichten nicht nur über Probleme, sondern auch über Lösungen berichteten? Wenn Journalisten viel stärker die Perspektiven junger oder migrantischer Menschen mit abbildeten? Oder wenn sie Missstände nicht nur aufdeckten, sondern auch konstruktive Debatten darüber organisierten, wie diese künftig verhindert werden könnten? Über ihre persönlichen Visionen von gutem Journalismus sprechen in diesem Interviewbuch Medienprofis und Bestseller-Autoren wie Isabel Schayani, Giovanni di Lorenzo, Maren Urner und Dennis Leiffels. Das Buch begleitet die Gründung des »Bonn Institute für Journalismus und konstruktiven Dialog« unter Beteiligung von Deutsche Welle, RTL, Rheinische Post, Generalanzeiger und der Universität Bonn.

Neuerscheinung im [Herder Verlag](https://www.herder.de/geschichte-politik-shop/journalismus-auf-der-couch-klappenbroschur/c-34/p-24309/)

\[caption id="attachment\_1035971" align="alignleft" width="300"\]![Ellen Heinrichs und Astrid Prange de Oliveira sind die Autorinnen des Buchs "Journalismus auf der Couch"](https://wp.meedia.de/wp-content/uploads/2022/03/Heinrichs_Oliveira_2340x1316_cr_goerner_quer-300x169.jpg) Foto: Florian Görner\[/caption\]

**Sie sagten, Ihr Job sei es auch, Veränderungen zu schaffen. Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen Journalistin und Aktivistin?**

**Bei "The 77 Percent" behandeln Sie sehr kontroverse Themen wie Fremdenfeindlichkeit oder sexuellen Missbrauch. Ist es da überhaupt möglich, kritische Distanz zu wahren?**

Ich tue mein Bestes, aber manchmal ist es einfach unmöglich, nicht in die Debatte verwickelt zu werden. Ich denke da speziell an eine Diskussion, die ich in Uganda geführt habe. Es ging um Frauenrechte. In der Diskussion sagte einer der anwesenden Männer, dass Frauen der Gesellschaft gehörten. Ich habe mich sehr über diese Äußerung aufgeregt und ihm das Mikrofon weggenommen. Ich habe ihm gesagt, dass er falsch liegt und Frauen über sich selbst bestimmen. Frauen sind niemandes Eigentum. In so einem Fall finde ich eine solche Reaktion angemessen. Ich wurde Teil der Geschichte, denn ich möchte nicht, dass die Leute denken, dass ich eine solche Position widerspruchslos hinnehme.

Vielleicht ändere ich diesen Satz in „zu Veränderungen inspirieren“. Ich denke, das passt besser zu dem, was ich tue. Aber was ist falsch daran, Veränderungen anzustoßen? Das kann in Gesprächen passieren, die anders verlaufen als erwartet, oder in denen wortkarge Menschen auftauen und anfangen zu sprechen. Daran ist nichts auszusetzen. Die Zeiten, in denen sich Journalisten zurücklehnen und in ihren Elfenbeinturm zurückziehen konnten, sind vorbei. Wir haben die Pflicht, kritisch zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Wenn das in der Ära von Donald Trump nicht geschehen wäre, wo stünden wir dann heute? Ich stimme dem Motto „Wahrheit vor Ausgewogenheit“ von Christiane Amanpour (Anm. d. Red.: Chefkorrespondentin von CNN) zu. Wenn jemand ins Studio kommt und behauptet, die Erde sei flach, obwohl man weiß, dass sie es nicht ist, dann sollte man sich nicht einfach zurücklehnen und zulassen, dass so ein Unsinn verbreitet wird. Es muss auch Raum für subjektive Äußerungen von Journalisten geben.

**Ist angestrebte journalistische Neutralität also praxisfern?**

Es kann sehr schwierig sein, sich selbst und seine Gefühle von der eigentlichen Berichterstattung zu trennen. Bei Menschenrechtsverletzungen werde ich zum Beispiel in die Rolle einer Aktivistin gedrängt. Die Leute rufen mich an, wenn sie meinen, dass über Polizeigewalt berichtet werden sollte. Auf der anderen Seite könnte genau das dazu führen, dass die Polizeigewalt sogar noch zunimmt. Und das ist der Punkt, an dem es für mich wirklich sehr schwierig wird, denn ich bin sehr leidenschaftlich bei diesen Dingen. Schließlich war für mich einer der Gründe, warum ich überhaupt in den Journalismus gegangen bin, dass ich die Stimme sein wollte von Menschen, die sich kein Gehör verschaffen können. Deswegen lohnt es sich für mich, Geschichten auf den Grund zu gehen, selbst wenn es Schwierigkeiten gibt, denn es ist einfach wichtig, dass bestimmte Themen Aufmerksamkeit erfahren.

**Sollten Diskussionsteilnehmer, von denen bekannt ist, dass sie Unwahrheiten verbreiten, von Debatten ausgeschlossen werden?**

Natürlich muss es Grenzen geben. Einen Terroristen zu interviewen, wie man eine Bombe baut, verstößt gegen jeden Verhaltenskodex. Aber für echte demokratische Debatten muss man bereit sein, auch mit Menschen zu sprechen, die andere Ansichten oder sogar lächerliche Positionen vertreten. Wir hatten zum Beispiel eine Debatte über weibliche Genitalverstümmelung und eine der Frauen, die wir interviewt haben, sagte, dass sie erneut Mädchen beschneiden würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Das ist natürlich sehr verstörend. Und man möchte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass man diese Art von Verhalten fördert. Aber man kann keine ausführliche Debatte über so ein Thema führen, wenn man nicht auf die Hintergründe dieser Überzeugungen eingeht, wenn man den Menschen nicht die Chance gibt, ihre Meinung zu äußern. Ich bin davon überzeugt, dass offene verantwortungsvolle Aussprachen dazu beitragen können, Probleme zu lösen.

> „Ich begegne meinen Gesprächspartnern mit Empathie.“
> 
> Edith Kimani

**Wie schaffen Sie den Spagat, Ihre eigenen Werte nicht aufzugeben und gleichzeitig zuzuhören, was die Leute zu sagen haben?**

Ich begegne meinen Gesprächspartnern mit Empathie. Mir ist bewusst, dass einige von ihnen unvorstellbar schreckliche Dinge durchlebt haben, die ich auch mit noch so viel Mitgefühl niemals verstehen werde. Ich möchte ihnen deshalb die Möglichkeit geben, Dinge auszusprechen, auch wenn diese gegen mein Wertesystem verstoßen. Ich konzentriere mich ganz auf den Moment, schenke der Person meine volle und ungeteilte Aufmerksamkeit und gehe zunächst einmal davon aus, dass es in dieser Welt irgendwie für alle Ansichten einen Platz gibt. Danach lasse ich die Leute reagieren und antworten.

**Wo haben Sie dieses empathische Zuhören gelernt?**

Ich glaube, diese Gabe kommt von meiner Großmutter. Sie war eine fantastische Zuhörerin und hat nur gesprochen, wenn es wirklich nötig war. Sie hat diese Eigenschaft meiner Mutter mitgegeben und meine Mutter wiederum hat dies an mich weitergereicht. Außerdem ist Stille in meinem Stamm ein wichtiger Wert. Von Erstgeborenen wird dort erwartet, schwierige Situationen still zu beobachten und dann mit Lösungen aufzuwarten.

##### Zur Person

Eine Talentshow **im kenianischen Fernsehsender Kenya Television Network (KTN) im Jahr 2009** veränderte ihr Leben. Als 19-Jährige nahm Edith Kimani, die im Kiambu County im Südwesten Kenias aufwuchs, ihren ganzen Mut zusammen und bewarb sich bei dem Programm für Nachwuchsjournalisten The Presenter. Sie ging als Siegerin aus dem Wettbewerb hervor und begann daraufhin ihre journalistische Karriere bei KTN in Nairobi als TV-Reporterin.

Sieben Jahre war sie in ihrer Heimat bereits eine bekannte Journalistin, bevor sie von der Deutschen Welle als Nachrichtensprecherin engagiert wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin (2017-2018) **kehrte sie als Ost-Afrika-Korrespondentin und Reporterin des Jugendmagazins** "The 77 Percent" für die DW in ihre Heimat zurück.

Kimani hat internationale Beziehungen an der United States International University in Nairobi studiert.

**Sie ermöglichen in Ihrem Umfeld auch Diskussionen über Themen, über die sonst vermutlich nicht gesprochen würde. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Rolle von Journalisten künftig in Richtung Moderation und Vermittlung verändert?**

Es ändert sich eher die Art und Weise, wie wir arbeiten. Grund dafür sind in erster Linie die Sozialen Medien. Durch sie können sich Menschen schnell Zugang zu aktuellen Informationen verschaffen. Es ergibt also keinen Sinn, ein bestimmtes Zitat erst in den 19-Uhr-Nachrichten zu senden, wenn die Menschen es in Echtzeit auf ihrem Twitter-Account bereits gelesen haben. Journalisten sollten nicht nur mit Zitaten arbeiten, sondern auch direkt ansprechbar sein. Sie müssen sich mit Kritik ihres Publikums auseinandersetzen und darauf antworten. Dies bedeutet, dass sie stärker auf die Bedürfnisse ihrer User eingehen müssen. Das war früher nicht notwendig, denn Journalisten haben lange Zeit darüber entschieden, welche Informationen verbreitet wurden und welche nicht.

**Ist es besser, dass dieses „Sendemonopol“ nicht mehr existiert?**

Journalisten sollten keine Selbstzensur ausüben. Unser Job ist es, die ganze, wahre und ehrliche Geschichte zu erzählen. Wir sollten alles auf den Tisch legen. Das kann sehr schwierig sein, besonders, wenn es um Gräueltaten und Massaker geht. Aber für die internationale Öffentlichkeit ist es wichtig zu sehen, wie die Welt wirklich ist. Meine Faustregel ist, nichts zu verbergen, denn wir leben auf dieser Erde gemeinsam als Menschheit. Und wenn wir diese Gräueltaten und Massaker nicht sehen wollen, dann sollten wir sie auch nicht anrichten.

**Wie versuchen Sie bei Themenvorschlägen, den Vorurteilen über Afrika als Kontinent von Krisen und Katastrophen entgegenzuwirken?**

Ich bin sehr vorsichtig, schließlich bin ich keine Afrika-Botschafterin. Ich behaupte nicht, dass es auf dem Kontinent keine Krankheiten, Konflikte oder Diktaturen gibt, denn die gibt es. Aber um ein ausgewogenes Bild zu bekommen, muss darüber in einem entsprechenden Kontext berichtet werden. Wenn ich also nach einem Thema Ausschau halte, frage ich mich immer, ob das Thema auch interessant wäre, wenn es nicht aus Kenia, sondern aus Peru käme. Oder ob es auch für jemanden interessant wäre, der in Madagaskar lebt. Lautet die Antwort ja, ist es für mich eine gute Geschichte.

Leider halten sich auch in angesehenen Medienhäusern die Vorurteile über den afrikanischen Kontinent hartnäckig. Das bereitet mir große Kopfschmerzen, denn als Afrikanerin fühle ich mich dadurch auch persönlich diskreditiert. Die Vorurteile führen dazu, dass vermeintliche Experten aus Deutschland oder andere weiße Europäer nach Kenia geschickt werden. Sie schwirren dann hin und her und reisen nach ein paar Tagen wieder ab. Diese Art von Helikopter-Journalismus finde ich sehr ärgerlich.

**Sind sich die Medienvertreter dieser Vorurteile bewusster geworden?**

Es gibt definitiv einen Unterschied. In der Deutschen Welle hängt das mit der starken Expansion in Afrika und Asien und der Nachrichten-Strategie für diese Regionen zusammen. Es gibt mehr Bedarf an Geschichten aus Afrika, und die Bedeutung der Region hat zugenommen. Aber es wird Zeit brauchen, bis die Redakteure umdenken, die seit 20 Jahren über die Berichterstattung entscheiden. Ich habe dafür Verständnis, und es macht mir nichts aus, immer wieder zu drängeln und zu kritisieren. Ohne Druck verändert sich nichts.

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**Lesetipp: Thilo Mischke: [„Triff Dich mit Leuten, die Du scheiße findest“](/article/thilo-mischke-triff-dich-mit-leuten-die-du-scheisse-findest-fcd27b9998841e1811a205219fb7e906)**

Edith Kimani: "Ohne Druck verändert sich nichts"