MEEDIA

Medien

Ich gehöre zu der wahrscheinlich aussterbenden Sorte von Menschen, die morgens zum Kaffee eine gedruckte Zeitung lesen, besser gesagt, zwei Zeitungen: Die Mainzer "AZ" fürs Lokale und die "FAZ" für das Überregionale. Es geht nicht nur ums Lesen, es ist auch eine angenehme Haptik. Dass Print immer noch Vorrang vor dem Digitalen hat, merke ich daran, dass die Online-Ausgabe der "FAZ" mir abends Artikel sendet, die ich bereits morgens in der gedruckten Ausgabe gelesen habe. Online ist hier ganz offensichtlich nur Zweitverwertung. Trotzdem hat die digitale Version der "FAZ" über zehn Millionen Unique User. Vom digitalen Nutzer zum E-Paper-Abonnenten ist es dann nicht mehr weit.

Tatsächlich ist der Erfolg des E-Papers die eigentliche Überraschung im Medienmarkt. Im zweiten Quartal 2022 war fast ein Fünftel der verkauften Tages- und Wochenzeitungen ein E-Paper. Was das E-Paper so beliebt macht ist vor allem die flexible Nutzung, die nicht an einen Ort gebunden ist. 93 Prozent geben an, ihr E-Paper zu Hause zu nutzen und 70Prozent lesen ihre Zeitung auch gerne unterwegs. 

Das Informationsverhalten wird aber auch durch weitere neue Formate geprägt. So hört etwa jeder Vierte in Deutschland Podcasts. Das Smartphone wird immer mehr zum Informationsträger. Laut einer aktuellen Studie der Postbank verbringen die Deutschen durchschnittlich 20,2 Stunden pro Woche mit dem Smartphone im Internet. Die unter 40jährigen bringen es sogar auf 31,8 Stunden.

Die Tendenz ist klar: Irgendwann werden die Verlage auf ihre gedruckten Ausgaben verzichten. Das kann zwar noch zehn und mehr Jahre dauern, doch die rückläufigen Zahlen gedruckter Tageszeitung sprechen eine deutliche Sprache. Bundesweit sinken die Verkäufe der Tageszeitungen stetig. So betrug die Gesamtauflage im Jahr 1991 noch 27,3 Millionen Exemplare pro Tag, 2021 waren es nur noch 12,3 Millionen täglich. Noch wichtiger: Junge Leute lesen kaum noch Tageszeitungen. In der Gruppe der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren sank der Anteil derjenigen, die mehrmals pro Woche Zeitung lesen von 48 Prozent (2004) auf 14 Prozent (2022)!

Die Frage ist: Hat diese Entwicklung Auswirkungen auf unsere Gesellschaft? Das Smartphone macht es leicht, jeden übel zu beschimpfen. Politiker und Prominente können ein Lied davon singen. Zum anderen: Auf dem Smartphone dominieren häufig Social-Media-Aktivitäten. Vielen Menschen sind diese Informationen genug, selbst wenn es Fake News sind.

> "Das Smartphone fördert eine enthemmte Gesellschaft."

Da versammeln sich dann nicht nur Querdenker und andere Spinner. Es ist ein Tummelplatz für Schlaumeier und Wichtigtuer. Hier kann man sich hemmungs- und weitgehend straflos auslassen, Anstand und Benehmen sind nicht mehr wichtig. Kurzum: Das Smartphone fördert eine enthemmte Gesellschaft, sicher nicht die Mehrheit, aber doch einen großen Teil, den man früher nicht wahrgenommen hat. Früher gab es dafür keine Plattform. Leserbriefe an die gedruckten Medien wurden immer sorgfältig vorgeprüft, üble Beschimpfungen kann man bis heute dort nicht lesen.

Das Smartphone gibt seinen Besitzern das Gefühl, wichtig zu sein. Hier kann jeder mit der ganzen Welt kommunizieren. Das kann Gutes bewirken, aber es produziert auch unangenehme Menschen. Kein Wunder, dass sich kriminelle Gruppen ihre Netzwerke im Smartphone organisieren. Was kann man dagegen tun? Vielleicht sollte man den Besitz von Smartphones regulieren und einen Führerschein vorschreiben. Was man tut und was man nicht tut, könnte ein verbindlich vorgeschriebener Benimm-Kurs vermitteln. Da fast jede und jeder Deutsche ein Smartphone besitzt, wäre das eine aufwändige und personalintensive Angelegenheit. Man könnte beim Neukauf anfangen und dann mit einer längeren Frist jedem Besitzer den Führerscheinkurs vorschreiben. 

<hr>

**Ralf-Dieter Brunowsky** ist Publizist und Medienberater mit der BrunoMedia GmbH. Lange Jahre war er Chefredakteur von "Capital". Für MEEDIA schreibt er hier über die alten Tugenden des Journalismus.


Old School: Brauchen wir einen Smartphone Führerschein?