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"Uns geht es nicht gut. Aber uns ging es vor Corona schon nicht gut." Das Zitat stammt von Pascale Müller, freie Investigativ-Journalistin. Mit "Uns" sind die freien Journalistinnen und Journalisten gemeint. Dennoch müsse man aufpassen nicht nur als Jammerer wahrgenommen zu werden, sagte Müller bei der [Vorstellung der Studie "Erosion von Öffentlichkeit" per Zoom](https://www.otto-brenner-stiftung.de/erosion-von-oeffentlichkeit/). Beim Event der Otto Brenner Stiftung (OBS) waren auch ein Vertreter der DJU und die Studienautoren anwesend.

Wie hart es Freie während der Corona-Krise getroffen hat und wie sie damit umgegangen sind, haben sich die Forschenden Prof. Barbara Witte von der Hochschule Bremen und Prof. Gerhard Syben vom Forschungsinstitut BAQ Bremen für die OBS angeschaut, am Beispiel Bremen. [Dafür hat das Duo eine qualitative Regionalstudie durchgeführt](https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AH109_Freie_Corona.pdf), in der mit 17 freien Journalistinnen und Journalisten (haupt- und nebenberuflich) mit verschiedenen Werdegängen gesprochen wurde, aber auch mit Vertretern von Redaktionen, die mit Freien zusammenarbeiten. Zu den elf befragten Medien gehörten etwa aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich Radio Bremen, im Privaten die Redaktionen von RTL und Sat.1 und im Print-Sektor der "Weser-Kurier", die "Taz Bremen" und die "Nordsee-Zeitung".

> "Beide Entwicklungen zusammen könnten dazu führen, dass ein Großteil der lokalen Berichterstattung aufgegeben werden muss."
> 
> Prof. Barbara Witte von der Hochschule Bremen

Warum man sich für das kleine Bundesland Bremen entschieden hat? Weil die Forschenden darin einen "Mikrokosmos" der bundesweiten Medienlandschaft sehen. Ein Abbild, das verschiedene Effekte erkennen lässt, die eben auch für die ganz ähnlich strukturierten anderen Regionen des Landes gelten, so Witte bei der Vorstellung.

##### Die zentralen Ergebnisse

Zur Ausgangssituation: In deutschen Medienhäusern wird vielerorts gespart. Die Erkenntnis ist nicht neu, auch über die Folgen ist einiges bekannt: Nämlich dass die Arbeit in den Redaktionen zunimmt, Stellen abgebaut werden und Inhalte mehr und mehr eingekauft werden, häufig von freien Journalistinnen und Journalisten. Das wiederum führt dazu, dass diese immer wichtiger werden. Gleichzeitig arbeiten viele von ihnen als Solo-Selbstständige aufgrund knapper Honorare und Planungsunsicherheit unter prekären Bedingungen. Wie hat sich die Lage seit Corona entwickelt?

##### **Zum Unternehmen**

Die Otto Brenner Stiftung ist **die Wissenschaftsstiftung der IG Metall**. Der Hauptsitz der OBS ist in Frankfurt am Main. Sie wurde im Jahr 1972 gegründet, dem Todesjahr des damaligen 1. Vorsitzenden der IG Metall, Otto Brenner.

Der Anspruch der OBS ist es, im Rahmen gezielter Projektförderung Arbeit und Wirken Otto Brenners fortzuführen, heißt es auf der Homepage. **Die Stiftung versteht sich als „kritisches gesellschaftspolitisches Forum**, das sich mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands und Europas auseinandersetzt.“

Einkommen und Aufträge? Eingebrochen in der Pandemie. Staatliche Hilfen? Zumindest zu Beginn ins Leere gelaufen. Für fast alle Freien kam es gleichermaßen zu kurzzeitigen Einkommens- und Auftragseinbußen, schreiben Witte und Syben. Doch vor allem nebenberufliche freie Journalistinnen und Journalisten im Print- und Lokalbereich seien längerfristig von Beschäftigungsmöglichkeiten abgeschnitten gewesen. Probleme wie schlechte Bezahlung, schon vor der Pandemie existent, haben sich dadurch verstärkt. Entwicklungen, die den Lokal- und Printjournalismus existenziell bedrohen, so der Tenor.

Das deutsche Mediensystem sorgt für teils große Unterschiede: Zwar wurde in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die tägliche Arbeit durch Hygienemaßnahmen umstrukturiert und dadurch aufwändiger. Die Beschäftigung von Freien wiederum konnte aufrechterhalten werden, heißt es. Drastisch ist die Lage vor allem auf der durch Tageszeitungen abgedeckten lokalen Ebene: Kultur-Events oder Sportereignisse fanden teils überhaupt nicht oder nur stark reduziert statt. Die Folge: Einkommenseinbrüche für die Mitarbeitenden, vor allem für jene, die die Berichterstattung aus den Stadtteilen übernehmen. Und auch für nebenberufliche Freie, die schon davor mit sehr niedrigen Honoraren zu kämpfen hatten. Gerhard Syben sagt dazu: "Häufig wird die Arbeit freier Journalistinnen und Journalisten bei Tageszeitungen und im Lokaljournalismus nicht einmal auf Mindestlohn-Niveau vergütet." Hier habe, so der Studienautor, die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger bestehender Probleme gewirkt.

Im Zuge der Corona-Krise, so erörtert die Untersuchung, hätten sich zwei Tendenzen ausgeprägt: Zum einen hätten sich die Ambitionen vieler Freier verstärkt, sich gänzlich vom Journalismus abzuwenden, oder mehr und mehr auf andere Jobs zurückzugreifen, mit mehr Sicherheit oder besserer Bezahlung. Zum anderen gibt es seitens einiger Redaktionen die Überlegungen, zukünftig auf den Einsatz nebenberuflicher freier Journalistinnen und Journalisten zu verzichten. Bei der Wissenschaftlerin Barbara Witte schrillen da die Alarmglocken: "Beide Entwicklungen zusammen könnten dazu führen, dass ein Großteil der lokalen Berichterstattung aufgegeben werden muss – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die demokratische Öffentlichkeit."

##### Das sagen DJV und BDZV

Nach der Veröffentlichung haben sich Verbände zu Wort gemeldet. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte die Zeitungsverleger auf, die Honorare der freien Journalistinnen und Journalisten endlich auf ein angemessenes Niveau anzuheben. "Die Resultate decken sich mit den Aussagen vieler unserer freiberuflich tätigen Mitglieder an Tageszeitungen, dass sie von ihrer journalistischen Arbeit nicht mehr leben können“, sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. In dem Statement wird auch der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) angesprochen. Dieser, so der DJV, verweigere seit Jahren Verhandlungen über eine notwendige Erhöhung der gemeinsamen Vergütungsregeln.

Der BDZV teilt auf MEEDIA-Anfrage mit: "Der Zugang zum Journalistenberuf ist in Deutschland aus guten Gründen bis heute frei. Jede und jeder darf sich Journalist/Journalistin nennen, ohne dafür einen Nachweis erbringen zu müssen. Die Grundgesamtheit 'freier Journalisten' ist daher sehr groß und nicht klar abzugrenzen. Das bestätigt im Übrigen auch die Studie." Freie Journalistinnen und Journalisten agieren als selbständige Unternehmer, so der BDZV. Das heißt, "sie verfolgen ein individuelles Geschäftsmodell, für dessen Funktionieren sie jeweils selbst Sorge tragen." Und weiter: "So betrachtet können freie Journalisten also nicht erwarten oder gar darauf bestehen, dass ein – sich eher verkleinernder – Markt ausreichende Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Auch dies wird sinngemäß in der Studie festgestellt." Verwiesen wird zudem auf die Corona-Tarifverträge der vergangenen beiden Jahre: "\[Die\] haben auf die Situation der Festen Freien in den Verlagsunternehmen Rücksicht genommen und eine anteilige Honorierung dieser Personengruppe vorgesehen."

> "Häufig wird die Arbeit freier Journalisten bei Tageszeitungen und im Lokaljournalismus nicht einmal auf Mindestlohn-Niveau vergütet."
> 
> Prof. Gerhard Syben vom Forschungsinstitut BAQ Bremen

Die Studie warnt davor, dass ein Großteil der lokalen Berichterstattung aufgegeben werden müsse. Der DJV-Vorsitzende Überall sagt: "Das können sich die Verleger nicht leisten: wirtschaftlich nicht, weil ihnen ohne fundierte Lokalberichterstattung die Leser weglaufen, und publizistisch nicht, weil das Medium Zeitung ein Bollwerk gegen Fake News und Verschwörungsmythen bleiben muss.“ Der DJV steht für Honorarverhandlungen jederzeit zur Verfügung, so die Ansage.

Der BZDV möchte angesichts der über 100 Seiten starken Studie zu den Ergebnissen keine schnelle Einschätzung abgeben. Der Verband teilt – auch mit Verweis auf die Einkommenssituationen der Interviewten – jedoch mit: "Allerdings erscheint uns die Grundgesamtheit von 17 Befragten aus Bremer Medienunternehmen von Print bis TV doch etwas sehr klein für verallgemeinernde Aussagen." Die Situation sei komplex, so der BDZV: "Die Studie als Ganzes scheint dies prima vista abzubilden, die bisherigen Äußerungen dazu eher nicht."

##### Wie sieht die Zukunft aus?

Mit den mahnenden Worten im Hinterkopf ist der Ruf nach besseren Arbeitsbedingungen nicht verwunderlich. Doch welche könnten das sein? Beim Zoom-Event wurde etwa nach der Politik gerufen. Verleger müssten von der in die Verantwortung genommen werden. Eine bessere Vernetzung freier Journalistinnen und Journalisten wurde auch ins Spiel gebracht, ebenso wie die Möglichkeit von Arbeitseinstellung. Freie müssen für sich eintreten, um ihre Honorarsituation zu verbessern. Streiks seien möglich, auch mit Unterstützung durch Gewerkschaften.

Witte sagte, dass man über die Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Ansatzes im Tageszeitungsbereich nachdenken sollte. Das Modell ÖR habe sich in der Krise bewährt, so die Wissenschaftlerin. Dahinter steht letztlich der Gedanke, wie das Zusammenspiel von öffentlich-rechtlichem und privatwirtschaftlichem Journalismus auf lokaler und regionaler Ebene aussehen könnte. Ein Ansatz, über den es sich nachzudenken lohnt. In Großbritannien gibt es schon einen Modellversuch: Da ist die [gebührenfinanzierte BBC](https://www.bbc.com/lnp/ldrs#:~:text=The%20Local%20Democracy%20Reporters'%20(LDRs,presented%20to%20the%20council%2C%20etc.) mit den privaten Zeitungsverlagen vor einigen Jahren [eine Partnerschaft eingegangen](https://www.deutschlandfunk.de/lokaljournalismus-in-grossbritannien-bbc-bezahlt-100.html). "Local Democracy Reporter" heißen dort die Journalistinnen und Journalisten, die ihr Gehalt von der BBC bekommen, aber bei einem privaten Zeitungsverlag angestellt sind.

Welcher Ansatz am Ende die Lösung bringt, oder ob es eher ein Mix aus vielen Maßnahmen sein müsste, wird sich zeigen. Sicher ist für das Forscherduo Witte und Syben, dass man der aktuellen Entwicklung im Lokaljournalismus entgegenwirken muss: "Wir müssen klären, wieviel institutionalisiertes Misstrauen wir uns künftig leisten wollen und wie wir dieses Misstrauen, auch Journalismus genannt, finanzieren wollen."

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